© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Trümmerfilme neu bewertet
Kaplakenband zum deutschen Nachkriegsfilm
Harald Harzheim

Was unterscheidet Geschichtsschreibung von Historienerzählung? Inwieweit ist jeder Historiker auch ein Dichter? Welche Bedeutung hat das Geschichtenerzählen für das (kollektive) Geschichtsverständnis? Wo ist die Schnittstelle zwischen Historie und Mythos?

Martin Lichtmesz erörtert diese Fragen anhand der NS-Aufarbeitung im deutschen Nachkriegsfilm seit 1946. Das impliziert auch eine Neubewertung des „Trümmerfilms“. Dessen Werke wie „Die Mörder sind unter uns“ (1946) oder „In jenen Tagen“ (1947) galten lange als hilflos-frühe Gehversuche in Sachen Traumabewältigung; erst der „Neue deutsche Film“ habe strukturanalytische Klarheit geschaffen. Lichtmesz hingegen liest die Filme im Entstehungskontext, zeigt, daß sie im damaligen Rahmen, gesteckt durch alliierte Zensur und die Zumutbarkeitsgrenze des kriegsgebeutelten Publikums, durchaus ernsthafte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ermöglicht haben.

Dabei ist das Geschichtsbild des Autors niemals einseitig oder monokausal. Zwar weiß er um die Bedeutung der Reeducation für das Selbstbild der Deutschen, erkennt aber auch:„Die Umerziehungsstrategien hätten auf die Dauer kaum verfangen, wenn ein weitverbreitetes Schuldbewußtsein der Deutschen nicht schon vorhanden gewesen wäre.“

Leider erlaubt der geringe Umfang der Kaplakenbände keine ausführliche Erörterung dieses komplexen Themas, zwingt zur Reduktion auf Andeutung und Skizze. Das wird auch beim Abschnitt über den „Neuen deutschen Film“ zum Problem. Zwar finden sich gute Analysen zu „Hitler – Ein Film aus Deutschland“ (1977), „Die Blechtrommel“ (1979), „Heimat“ (1984) bis hin zum TV-Zweiteiler „Dresden“, die die jeweiligen Trauma- und Tabugrenzen dieser Produktionen aufzeigen. Hinzuzufügen wäre, daß Außenseiter wie Herbert Achternbusch, Christoph Schlingensief oder Jörg Buttgereit mit pechschwarzen Komödien gegen diese „Grenzen“ rebellierten. Bleibt zu hoffen, daß er diese eigenwillige Filmgeschichtsschreibung, in der vieles keine Platz finden konnte, noch einmal im Großumfang wiederholt.

Martin Lichtmesz: Besetztes Gelände. Deutschland im Film nach ‘45. Kaplaken 22, Edition Antaios, Schnellroda 2010, gebunden, 96 Seiten, 8,50 Euro

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