© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Unterhaltung statt Dokumentation
„Der Kniefall des Kanzlers“: Das Psychogramm Willy Brandts überzeugt nicht
Detlef Kühn

Bundespräsident Christian Wulff hat gerade angekündigt, zum vierzigsten Jahrestag des Kniefalls von Willy Brandt nach Warschau zu reisen. Passenderweise bereitet sich auch das Fernsehen auf diesen Tag – es war der 7. Dezember 1970 – vor.

So strahlen Arte und die ARD eine neue Brandt-Biographie aus. Zeitgeschichtlich interessierte Zuschauer seien gewarnt: Dies ist kein Film über die  Lebensleistung des ersten sozialdemokratischen Bundeskanzlers, über seine Ost- und Deutschlandpolitik oder die Haltung seiner Partei, der SPD, zur Wiedervereinigung. Diese Gesichtspunkte spielen allenfalls eine Rolle am Rande. Es ist nicht einmal ein Film, der die Bezeichnung Dokumentarfilm verdient. Im Vordergrund steht die Unterhaltung des Publikums, wie die Filmautoren Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg betonen. Herausgekommen ist ein filmisches Psychogramm Willy Brandts, das mehr unterhaltsam als durch Fakten fundiert ist.

Typisch für moderne Fernsehendokumentationen ist, daß alles, was nicht durch Originalaufnahmen belegbar ist, durch Schauspieler dargestellt wird. Damit wird aber die Dokumentation verlassen und das Feld des Spielfilms mit seinen künstlerischen Freiheiten betreten. Hier muß man nichts mehr beweisen. Es genügt die Spekulation, beispielsweise über die Bestechung eines CDU/CSU-Abgeordneten durch den KGB.

Fazit der Autoren: Willy Brandts Leistung ist eindrucksvoll, weil er für die Versöhnung der Nationen gesorgt hat (siehe Kniefall in Warschau). Charakterlich hatte er bedenkliche Neigungen, die auf seine schwere Kindheit zurückzuführen sind: Depressionen, Menschenscheu, Trunksucht, Faulheit, Promiskuität und Ehebruch. Als Kronzeugin für letzteren trat Heli Ihlefeld auf, die immerhin berichten kann, der DDR-Spion Günter Guillaume habe häufig die Termine für ihre Treffen mit dem Kanzler gemacht. Wenn das keine gute Unterhaltung ist.

„Der Kniefall des Kanzlers – die zwei Leben des Willy Brandt“ läuft am 1. Dezember (Mittwoch) um 20.15 Uhr auf Arte und am 8. Dezember (Mittwoch) um 23.30 Uhr in der ARD.

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