© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Die letzte Kriegswunde heilen
JF-Serie Rekonstruktionen (3. Folge): Der Wiederaufbau des Turms der Pfarrkirche Sandau in Sachsen-Anhalt ist ins Stocken geraten
Claus-M. Wolfschlag

Lange präsentierte sich der Turm der Pfarrkirche im sachsen-anhaltinischen Sandau als Kriegsruine. Seit einigen Jahren kümmert sich eine kirchlich verankerte Initiative um den schrittweisen Wiederaufbau.

Der Bauplatz der ab 1200 errichteten romanischen Backsteinbasilika war auf einer einstigen slawischen Opferstätte gewählt worden. Im Laufe der Jahre entstand dort ein wehrhaftes Bauwerk mit zwei Meter dicken Mauern und einem weit ins Land hinaus sichtbaren Kirchturm. Spätere gotische und barocke Innenumbauten wurden im 19. Jahrhundert rückgängig gemacht. Kampfhandlungen des Zweiten Weltkriegs zerstörten im April 1945 den Ort zu achtzig Prozent und ebenso den Kirchbau in weiten Teilen. Die schwersten Kriegsschäden konnten in den fünfziger Jahren beseitigt werden, 1977/78 erfolgte dann eine Innenrestaurierung. Der mächtige Turm indes blieb eine Ruine.

Eine Initiative zum Wiederaufbau bildete sich nach der Wiedervereinigung – trotz schwindender Bevölkerungszahlen, die ein solches Vorhaben erschweren. Die Einwohnerschaft des Dorfes sank bis zur Jahrtausendwende nämlich auf die Hälfte des Bestandes von 1940 und gar unter die Einwohnerzahl des Jahres 1800. Heute liegt sie bei knapp unter tausend.

1995 wurde eine Umfrage zum Wiederaufbau des Turmes gestartet, bei der vier Fünftel der Befragten ihre Zustimmung bekundeten. Im März 1996 gründeten neunzehn Bürger den Förderverein „Freunde und Förderer des Wiederaufbaus der Sandauer Kirche e.V.“. Es folgten Ideenwettbewerbe mit Architekturstudenten und eine öffentliche Diskussion. 1998 wurde die Turmruine von Schuttmassen beräumt, 2001 ein Finanzierungskonzept erarbeitet, so daß 2002 der Grundstein für den Wiederaufbau gelegt werden konnte. 50.000 D-Mark wollte die Stadt, 100.000 D-Mark der Förderverein und 150.000 D-Mark das Land Sachsen-Anhalt für den ersten Bauabschnitt erbringen.

Da bis 2006 über 250.000 Euro an privaten Mitteln erbracht werden konnten und zudem fast 450.000 Euro an öffentlichen Fördermitteln flossen, konnten die ersten drei Bauabschnitte realisiert und bereits die dritte errichtete Etage des Backsteinturmes eingeweiht werden. Treppen wurden eingebaut und mit einer Nutzung der großzügigen Turminnenräume begonnen. Die Kirche gab ein zinsloses Darlehen für den notwendigen Einbau der Brandschutztechnik. Mittlerweile zeigt die Fassade eindrucksvoll die Bruchlinie zwischen erhaltener Altsubstanz der Ruine und den neuen Backsteinen – eine „Frauenkirche“ in romanischem Dorfformat.

Doch seit 2007 stockt der Wiederaufbau, so daß die 4. Etage und das Dach bislang nur geplant werden konnten. Zwar gehen auch weiterhin kleine Spendenbeträge ein – durch Basar-Erlöse oder von seiten der evangelischen Partnergemeinde in Hamburg, die eine ehemalige Sandauerin dazu animiert hatte –, doch die öffentlichen Fördermittel fließen nicht mehr so üppig wie früher. Heute müssen den Fördermitteln zumeist siebzig Prozent Eigenmittel gegenüberstehen, früher war es umgekehrt.

Für 2011 hofft man, mit angesparten Geldern doch den nächsten Bauabschnitt in Angriff nehmen zu können. Ursprünglich sollte für 330.000 Euro die komplette Abschluß-Etage errichtet werden. Doch das ist finanziell nicht machbar. Um überhaupt noch eine Chance auf Förderung zu erhalten, ist deshalb geplant, nun in zwei Etappen zu bauen. Für etwa 150.000 soll erst nur der Rohbau entstehen, also Mauern, Schalluke und Decke. Der Innenausbau des Rohbaugeschosses soll dann nachträglich erfolgen.

Auf Spenden ist der Verein, der mittlerweile weit über 200 Mitglieder hat, also weiterhin angewiesen. Die Wiederaufbau-Initiative ist übrigens stark kirchlich verankert. Und so wundert es auch nicht, daß sie auf ihrer Internetseite göttlichen Beistand anruft: „Mit Vertrauen auf Gott erleben wir inneren und äußeren Aufbau und sind Gott, dem Herrn, für beides dankbar.“

Kontakt: Freunde und Förderer des Wiederaufbaus der Sandauer Kirche e.V., Kirchberg 09, 39524 Sandau, Telefon: 03 93 83 / 236  www.kirchturm-sandau.de

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