© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Volkstümlich und detailverliebt
Minerva führt die Malerei zu den Künsten: Hans von Aachen in Wien
Sebastian Hennig

Die italienische Renaissance erwuchs auf den Trümmern des Oströmischen Reiches. Spolien aus Byzanz und Flüchtlinge von den griechischen Inseln regten den raschen Vortrieb einer weltlichen Lebensfeier an, einer Leiblichkeit, der zuletzt kaum noch eine geistige Haltung entsprach. Am Morgen nach der Orgie machte sich eine spirituelle Krise bemerkbar, die ihren Ausdruck auch in ästhetischer Konfusion fand. Zehrende Selbstzweifel, wie sie aus Versen des alten Michelangelo tönen, oder mißtrauische Beanstandungen durch die Inquisition, wie bei Paolo Veroneses „Hochzeit zu Kanaa“, kennzeichnen diese Lage. Ein manieristisches Kunstideal suchte die Vorzüge der Hochrenaissance aus der Sackgasse ins Freie zu führen. Die biederen Nordeuropäer, voller religiöser Skrupel, trugen diese Entwicklung langsamer, vielleicht auch gründlicher in sich aus.

Der junge Hans Aachen, benannt nach der Geburtsstadt seines Vaters, erlebte nach seiner Ausbildung im heimatlichen Köln eine der späten Kunstblüten Venedigs. Wenn er auch nicht in den Werkstätten Tizians oder Tintorettos mitwirkte, wo sich zu jener Zeit viele Maler aus dem Norden betätigten, so hat er doch von den großen Venezianern viel in sein eigenes Werk übernommen. Zeichnerische Studien nach Gemälden Paolo Veroneses und Francesco Bassanos bekunden den Einfluß, der sich auch im Aufbau und Kolorit seiner Gemälde bemerkbar macht. 1592 wird er Kammermaler von Kaiser Rudolf II. Zwei Jahre darauf erhält er den Adelstitel. In München heiratet er Regina, die Tochter des berühmten Komponisten Orlando di Lasso und nimmt mit ihr seinen Wohnsitz in Prag. Nach Stationen in Aachen und Prag ist die Retrospektive seines Gesamtwerkes mit Leihgaben aus vielen europäischen Sammlungen jetzt in Wien zu sehen.

Mehr volkstümlich und detailverliebt wie seine altdeutschen Vorgänger, im Gegensatz zur großen Geste und der noch großzügigeren Durchführung eines Tintoretto, steht er in der Mitte zwischen der blühenden Eleganz Veroneses und der geheimnisvollen Innigkeit Rembrandts. Es war die Zeit der humanistischen Betulichkeit und dekorativer Bildstrategien. Die Bedeutung der Ausstellung besteht darum weniger in der Qualität der Einzelwerke als in der Zusammenschau einer Kunstbestrebung, die sich im Untertitel der Schau ankündigt: „Hofkünstler in Europa“.

Der kaiserliche Mäzen dekretierte im Frühjahr 1595 in einem Brief, daß die Malerei fortan nicht länger als ein Handwerk, sondern als eine freie Kunst gelten soll. Hans von Aachen zeichnete die Vorlage für einen Stich, auf dem Minerva dem Gebot Folge leistet, indem sie die Malerei zu den sieben freien Künsten geleitet. Die Inschrift besagt unter anderem: „Jede Form bleibt roh und unbehauen ohne die Bildung von Minerva. Wenn die Malerei und Minerva sich vereinen, was kann es Schöneres geben?“

Nun steht Bildung freilich auch dem Maler gut an. Aber ihre deklamatorische Hervorkehrung begünstigt nicht immer die Wirkung der Malerei. Um die antiken Mythen wird zuweilen ein schnörkelhaftes Theater entfaltet: Was „Venus, Amor und Satyr“ Schwieriges mit ihren Fingern anstellen, erinnert fast an balinesische Tempeltänzerinnen.

Zeichnerische Vorstudien eröffnen einen Blick in die Werkstatt des Malers. Überhaupt nehmen die Zeichnungen und Stiche einen bedeutenden Platz im Werk des Künstlers ein. Von Aachen legte sich den humanistischen Flitter um wie eine Hofkleidung mit Halskrause und Goldkette. Der Gesandte der d’Este, Girolamo Manzuolo, charakterisierte ihn entsprechend: „Er ist ein Mann von größerer Einfachheit als Klugheit (...); er ist katholisch, spricht ein wenig italienisch und ist ein wahrheitsliebender Mann, der den Wein und die Fröhlichkeit liebt.“

So liegt auch in den volkstümlichen Szenen die große Stärke des Malers. „Paar mit Spiegel“, „Junge Frau mit Schoßhund“ und „Paar im Wirtshaus“ kommen ohne überspannte Gestik aus und zeigen glaubhaft eine Welt, die dem Maler eigen war. Trotzdem entledigte er sich der propagandistischen Auftragsarbeit mit Bravour. Schlachtenallegorien auf die Ereignisse des Langen Türkenkriegs malte er auf Pergament. Für andere allegorische und mythologische Darstellungen wurden die Ölfarben auf Kupfer, Alabaster oder gar Marmorplatten aufgetragen. Emailleartig schimmern die Leiber der drei Grazien auf der kleinen Kupfertafel aus dem Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig: eine anmutige, dem Künstler ganz eigene Erfindung, einfach und schön.

Die Ausstellung „Hans von Aachen (1552–1615) – Hofkünstler in Europa“ ist bis zum 9. Januar 2011 in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien zu sehen. Der Katalog mit 278 Seiten kostet 29,90 Euro.

Foto: Die Ausstellung „Hans von Aachen (1552–1615) – Hofkünstler in Europa“ ist bis zum 9. Januar 2011 in der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums in Wien zu sehen. Der Katalog mit 278 Seiten kostet 29,90 Euro.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen