© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Ort des Schreckens
DDR-Unrecht: Die Gedenkstätte Hohenschönhausen kämpft gegen die Verharmlosung des Kommunismus
Christian Dorn

Im zwanzigsten Jahr der Deutschen Einheit scheint „die Renaissance des Marxismus und Anarchismus, der Siegeszug jener aus Spekulation und Schwärmerei zusammengebrauten Heilslehre“ – wie es Gerhard Szczesny 1971 in seinem Buch über „Das sogenannte Gute“ formulierte – so virulent wie schon lange nicht mehr. Allein im Beitrittsgebiet der ehemaligen DDR zweifeln derzeit, wie das Allensbach-Insitut feststellte, fast zwei Drittel der Bevölkerung daran, daß die Marktwirtschaft das bessere System sei.

Dabei hat die Geschichte des Marxismus bewiesen, daß „die Idealität politischer Ideale nichts über die Idealität der Zustände besagt, die sich einstellen, wenn man das Ideal zu verwirklichen trachtet“. War doch der Versuch zur Schaffung des „neuen Menschen“ die Hybris einer weltlichen Erlösung, die nur dazu führte, den Menschen selbst zu opfern. Bereits „Hyperion“ hatte dies erkannt: „Beim Himmel! der weiß nicht, was er sündigt, der den Staat zur Sittenschule machen will. Immerhin hat das den Staat zur Hölle gemacht, daß ihn der Mensch zu seinem Himmel machen wollte.“

Doch Friedrich Hölderlin ist in der politischen Bildungsarbeit der deutschen Gegenwart nicht die tonangebende Stimme, schon gar nicht im tiefen Osten der Hauptstadt, wo mit der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, der ehemaligen Stasi-Haftanstalt, eine der eindrücklichsten Erinnerungsstätten an die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft steht. Erst vor einem Monat empfing sie den zweimillionsten Besucher. Ende November verleiht der Förderverein der Gedenkstätte zum zweiten Mal den mit 5.000 Euro dotierten Hohenschönhausen-Preis. Gewürdigt wird diesmal der 81jährige Publizist und DDR-Experte Karl Wilhelm Fricke, der sich in besonderer Weise um die Aufarbeitung der SED-Diktatur verdient gemacht hat (JF 43/10).

Fricke, der seit 1970 für den Deutschlandfunk arbeitete, erzielte als Leiter der Ost-West-Redaktion – so Detlef Kühn – eine politische Wirkung, die „gar nicht überschätzt werden kann“. Mit seinen zahlreichen Publikationen gilt er als „Nestor der Stasi-Forschung“ (JF 37/04). Die besondere Beziehung zu seinem Forschungsgegenstand beruhte nicht zuletzt auf der eigenen leidvollen Erfahrung: Im Jahr 1955 war er von der Stasi von West- nach Ost-Berlin entführt worden, wo er – wegen seiner schon damals kritischen Berichterstattung – zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Dennoch zeichneten sich seine späteren Veröffentlichungen durch eine bemerkenswerte Objektivität aus, aufgrund derer sie auch nach dem Mauerfall ihre Gültigkeit behielten, wie der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller, unlängst konzedierte (JF 38/09).

Im vergangenen Jahr beschrieb Fricke in seinem Beitrag für den Sammelband „Der lange Arm der Stasi“ nicht nur sein eigenes Schicksal Mitte der fünfziger Jahre, sondern reflektierte insbesondere das Unbehagen an dem wiedererwachten Gespenst des Kommunismus: „Längst“, so Fricke, „sind altstalinistische Ideologen und linksreaktionäre Historiker im Schulterschluß mit früheren Spitzenpolitikern und Staatsfunktionären der DDR bemüht, sich wieder die Deutungshoheit in der Zeitgeschichte anzumaßen.“

Podiumsdiskussion zum Totalitarismus-Vergleich

In diesen Zusammenhang gehört der fortdauernde Versuch, die beiden totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts mit einem Vergleichsverbot zu belegen. Dieser Tabuisierung entgegenzuwirken, war Ziel des kürzlich abgehaltenen Hohenschönhausen-Forums, das bereits zum dritten Mal tagte. Unter dem Titel „Unvergleichbar? – Nationalsozialismus und Kommunismus im 20. Jahrhundert“ diskutierten hochkarätige Podien den Stand der Debatte. So beklagte der Historiker Horst Möller, daß die Mär vom „wahren“ Sozialismus noch immer lebendig sei. Im Unterschied zur einhellig negativen Betrachtung der NS-Diktatur, werde hinsichtlich der kommunistischen Idee bis heute versucht, den vermeintlich guten Kern dieser Ideologie zu retten.

Markus Meckel, 1990 Außenminister der DDR-Übergangsregierung, sah indes im politischen Träger dieser Ideologie, der Linkspartei, eine positive Funktion, insofern sie „eine therapeutische Partei“ sei – eine Deutung, für die er jeden Beleg schuldig blieb. Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der Freien Universität Berlin, sah indes eine fehlende Äquidistanz zu den beiden totalitären Systemen. Im Nationalsozialismus seien die Menschen offenbar Opfer einer bösen Ideologie gewesen, im Kommunismus dagegen einer guten Ideologie. Deutlich sei der Unterschied nicht zuletzt in den Reaktionen auf die Bagatellisierung oder Leugnung kommunistischer Verbrechen: Im Unterschied zur Holocaust-Leugnung blieben diese folgenlos.

Klare Worte fand auch die Psychologin Vaira Vike-Freiberga, die von 1999 bis 2007 als Präsidentin der Republik Lettland vorstand. Anhand zahlreicher Plakatmotive zeigte sie die Identität von kommunistischer und nationalsozialistischer Propaganda auf. So transportierten beide Ideologien ein Heilsversprechen, einmal mit dem Bild des „neuen“, das andere Mal mit dem des „arischen“ Menschen. Im Unterschied allerdings zum Dritten Reich hätten die realen Zustände in der Sowjetunion nichts mit den offiziellen Programmen der Politik gemein gehabt. In dem perfiden Repressionsapparat der kommunistischen Untersuchungshaftanstalten sah Vike-Freiberga denselben Mechanismus „wie in der christlichen Inquisition“.

Daran erinnert wird dennoch, Ironie der Geschichte, mit einem Kreuz. So etwa in Sachsenhausen, wo vor zwei Jahren ein acht Meter hohes Gedenkkreuz aufgestellt werden sollte, um an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu erinnern. Um nicht die optische Vorherrschaft des Obelisken zu gefährden, der an die Opfer der NS-Herrschaft erinnert, mußte das Kreuz aufgrund politischen Drucks um einen Meter gekürzt werden – es zeigt an: Die von Fricke beklagte Deutungshoheit triumphiert bereits über die Toten.

Kontakt: Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, 13055 Berlin, Telefon: 030 / 98 60 82 30  www.stiftung-hsh.de

Fotos: Zellengang im Neubau der ehemaligen Stasi-Haftanstalt in Berlin-Hohenschönhausen: Zwei Millionen Besucher, Hohenschönhausen-Preisträger Karl Wilhelm Fricke

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