© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Pankraz,
Seneca und der Karat von Geldgeschenken

In den Städten sind schon die Weihnachtsmärkte eröffnet, und in den Gemütern wächst die alte, ewig wiederkehrende Frage „Was schenken?“ Sehr zupaß kommt da eine von der Bild am Sonntag veröffentlichte Umfrage zum Thema „Was denken die Deutschen über Geldgeschenke?“ Man will ja nicht ausgerechnet zu Weihnachten in Fettnäpfchen treten.

Fünfundsiebzig Prozent der Deutschen, so erfährt man, haben nichts gegen Schecks oder Euro-Scheine auf dem Gabentisch, aber immerhin fünfundzwanzig Prozent sind strikt dagegen. Und bedenklicher noch: Je gebildeter und „kultivierter“ einer ist, um so strikter lehnt er Geldgeschenke ab. Er hält sie für ungezogen, plump, parvenühaft, zumindest für den Ausdruck von Phantasielosigkeit – und von Faulheit. Der Geldschenker läßt sich angeblich nicht hinreichend auf die Psyche des Beschenkten ein, macht es sich allzu bequem und offenbart damit seelische Unempfindlichkeit.

Aber es gibt gravierende historische Gegenstimmen. Schon der große Stoiker Seneca vor zweitausend Jahren war anderer Meinung. In seiner berühmten Schrift „Von den Wohltaten“ weist er darauf hin, daß es schwierig, ja faktisch unmöglich sei, die Sehnsüchte und Wünsche der anderen genau zu erkennen, selbst wenn es sich bei ihnen um einem sehr nahestehende Personen handelt. „In der Hauptsache müssen wir darauf achten“, schreibt er, „keine Geschenke zu überreichen, die man gar nicht wirklich brauchen kann, etwa einem Greis Jagdwaffen oder einem Bauern Bücher oder einem Gelehrten Fischernetze.“

Das sind natürlich sehr drastische Beispiele, doch das „Brauchen- können“ spielt beim Schenken tatsächlich die entscheidende Rolle. Was nützt einem denn ein Geschenk, und sei es noch so liebend ausgesucht, das der Beschenkte nicht brauchen kann, das nach der Überreichung  nur noch irgendwo herumliegt und eines Tages vielleicht sogar kalten Herzens weiterverschenkt wird! Hinzu kommt (nach einer Beobachtung von Nietzsche), daß der Schenker immer von seiner eigenen Vorstellung von Nutzen ausgeht, daß es nämlich einen allgemeinen Begriff von Nützlichkeit gar nicht gibt.

Erfahrene Schenker erkundigen sich deshalb bei dem Beschenkten in spe vorher schon, „was er sich wirklich wünscht“. Die Enttäuschungsrate wird dadurch minimiert, aber der freudige Überraschungseffekt, der an sich zu jedem Beschenktwerden dazugehört, reduziert sich fast auf Null. Das ist sogar schon bei Kindern so, die in der Regel zwar ihre Wünsche stürmisch artikulieren und fest damit rechnen, daß sie erfüllt werden, jedoch dann, wenn sie das ersehnte  Geschenk in der Hand halten, an ihm sehr schnell eine Menge zu bemängeln haben und also eine gleichsam negative Enttäuschung erleben.

Beim Geldgeschenk nun fallen alle diese Risiken, wie schon Seneca erkannte, weitgehend weg. Geld kann man immer brauchen, und es verschafft dem Beschenkten die Möglichkeit, es völlig nach eigenem Gusto einzusetzen und sich damit genau den erhofften Nutzen zu verschaffen. Wer Geld schenkt, schenkt immer auch Freiheit, Dispositionsfreiheit, Entscheidungsfreiheit. Das Geldgeschenk kann außerdem nicht sachlich enttäuschen, allenfalls quantitatv in Hinblick auf die erwartete Summe. Um so größer aber die Freude, wenn die Summe die erwartete Höhe übersteigt.

Freilich, diese Freude verhallt gewissermaßen ins Leere, braucht einen Rahmen, um sich vernehmbar artikulieren zu können. Denn die Abstraktheit des Geldes verschafft zwar individuelle Freiheit, birgt aber stets auch die Gefahr der Vereinsamung, der sozialen Bindungslosigkeit. „Wenn die Besitze“, schrieb einst Georg Simmel in einer Selbstanzeige für sein epochales Buch „Das Geld“, „überhaupt nicht mehr unter der Kategorie eines definitiven Lebensinhaltes angesehen werden, so kommt es nicht mehr zu jener innerlichen Bindung, Verschmelzung, Hingabe, die der Persönlichkeit zwar Grenzen, aber zugleich Halt und Inhalt gibt.“

Will sagen: Reiner Geldverkehr ohne ständigen Rückbezug auf das konkrete Leben und all seine Klänge, Düfte und Farben ist letzten Endes tödlich, sowohl im gesellschaftlichen Ganzen wie im Verkehr der Individuen untereinander. Wenn zu Weihnachten und zu anderen Gelegenheiten nur noch Geld verschenkt würde, würden Liebe und Freude bald vertrocknen und schließlich erlöschen. Man würde bald nur noch in Summen denken und am Ende überhaupt nicht mehr denken, nur noch kalkulieren.

Geldgeschenke sollten die Ausnahme bleiben, und sie müssen, wenn sie denn passieren, von liebenden, mag sein manchmal auch mahnenden, Worten und glaubhaften Erklärungen begleitet werden, dürfen nie zur Routine erstarren. Das gilt übrigens nicht nur für kleine Weihnachts- und Geburtstagsfeiern, sondern auch für die große Politik und für den Verkehr der Staaten untereinander.

Wenn sich etwa, wie es jetzt offenbar in Europa geschieht, die sogenannte EU in eine bloße Geldverschenkerei verwandelt, mit Routineschenkern (Deutschland) auf der einen Seite und Geschenke-Entgegennehmern auf der anderen, so führt das unweigerlich zu bösen Häusern. Die einschlägige Rhetorik ist ja bereits, wie tagtäglich zu vernehmen, vollkommen vergiftet. Die Schenker klingen nur noch wie rohrstockschwingende Oberlehrer und die Beschenkten wie kreischende Rabenkinder, die den Hals nicht voll genug kriegen können. Von Dankbarkeit und allseitiger Freude in der Runde nicht die Spur.

Vielleicht hätte man bei der Umfrage „Was denken die Deutschen über Geldgeschenke?“ darauf hinweisen sollen, daß nicht nur private Weihnachtsfeiern, sondern auch staatliche Transfer-Aktionen gemeint seien. Dann wären die Antworten mit Sicherheit anders ausgefallen, wohl genau umgekehrt. Wie schrieb Seneca? „Wohltat am falschen Ort ist gleich einer Übeltat.“ Freilich schrieb er auch: „Wenn du mit einer Wohltat übel angekommen bist, freue dich trotzdem. Wenigstens wird sich der Empfänger über deine Freude ärgern.“

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