© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

„Menschen mit komplexen Profillagen“
Polit-Touristen: Klaus Wowereit und Heinz Buschkowsky besuchen den Berliner Problembezirk Neukölln
Ronald Gläser

Die beiden bekanntesten Berliner Sozialdemokraten Klaus Wowereit und Heinz Buschkowsky besuchen den Problembezirk Nummer eins und stehlen sich gegenseitig die Show. Eine Begegnung in Berlin-Neukölln.

Zunächst besichtigen die Polit-Touristen drei Krawallschulen, darunter die berüchtigte Rütli-Schule, an der sich inzwischen die Verhältnisse gebessert haben sollen. Buschkowsky spricht von einer „Revolution“. Anschließend begibt sich die Reisegruppe ins größte Arbeitsamt Deutschlands. Neukölln hat 310.000 Einwohner, von denen 78.000 in sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben, jeder vierte also. 44.000 Arbeitssuchende sind hier registriert.

Umringt von einer Traube Journalisten durchläuft Wowereit – jetzt plötzlich ohne Buschkowsky – die Stationen, die ein Arbeitsloser mit seinem Antrag aufsuchen muß. Zunächst geht es ins „Neukundencenter“. Wowereit fragt, ob der Antrag auch übers Internet gestellt werden könne. „Nein, nur mit der Post“, antwortet die Sachbearbeiterin. Und Benachrichtigungen per SMS? „Jibt et ooch nich.“ Wowereit räuspert sich. Ach so.

Weiter geht es im Jobcenter. In der Abteilung „Sanktionen“ dreht sich Wowereit um und sucht den Bezirksbürgermeister. Wo ist Buschkowsky? „Jetzt muß der Buschkowsky kommen“, sagt er. „Warum soll ich kommen?“ ruft dieser von hinten. Und schon kommt er angedackelt.

Zwischen beiden stand es nicht immer zum besten. Buschkowsky ist ein bodenständiger Lokalpolitiker, der den Kontakt zur Basis nicht verloren hat. Multikulti ist tot, sagt er. Wowereit würde so etwas nicht sagen, selbst wenn er Buschkowskys Ansichten teilen sollte.

2006 hat Wowereit einmal erklärt, er würde seine Kinder nicht in eine Problemschule mit vielen Ausländern schicken. Und weiter: „Ich kann auch jeden verstehen, der sagt, daß er da seine Kinder nicht hinschickt.“ Damit hat er damals Freund und Feind gegen sich aufgebracht. Danach hat er sich nie wieder in dieser Richtung geäußert.

Die beiden SPD-Politiker hören sich die Schilderungen der Mitarbeiter an. Dann drehen sie sich um und setzen ihren Rundgang fort. Wowereit geht vorweg, Buschkowsky schlurft hinterher. Er hatte sein Heimspiel in den Schulen, jetzt fühlt er sich von Wowereit in eine Statistenrolle gedrängt. Und überhaupt, plötzlich ist der Besuch nicht mehr so erfreulich. „Da gibt es viel Schöngerede“, sagt er mit gelangweilter Miene über solche PR-Termine. Sein Gesichtsausdruck hellt sich auch nicht wieder auf, weil bei der anschließenden Pressekonferenz zunächst Wowereit spricht. Der Regierende Bürgermeister redet über Langzeitarbeitslose und über Bürokratie.

Erst als der Leiter der Generaldirektion der Arbeitsagentur Berlin-Süd, Konrad Tack, ein Lob ausspricht, ist Buschkowskys Aufmerksamkeit wieder geweckt: Ohne den zähen Einsatz des Bezirksbürgermeisters hätte es nicht so viel Geld für das Jobcenter gegeben. Buschkowsky strahlt und ergreift das Wort. Er berichtet, daß viele Langzeitarbeitslose gerne ihrem Ein-Euro-Job nachgehen, und warnt vor den „problematischen Kürzungsvorschlägen“ der Bundesregierung: „Wenn das wegbricht, dann führen wir die Leute direkt ans Sixpack und zu ‘Vera am Mittag’.“ Es bleiben zu viele dabei auf der Strecke. 

Dann spricht er über sinnvolle Projekte für schwer vermittelbare Dauerkunden der Arbeitsagentur. „Oder wie heißen die jetzt?“ fragt er und schaut in die Runde. Regionalleiter Tack liefert wie aus der Pistole geschossen die politisch korrekte Antwort: „Menschen mit komplexen Profillagen.“ Alles lacht über dieses Wortungetüm für Langzeitarbeitslose. Und plötzlich grinst auch Buschkowsky wieder.

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