© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Wie die Einheitssozialisten ihre Partei retteten
DDR-Erbe: Der Weg der SED zur gesamtdeutschen Partei
Paul Leonhard

Als das Volk im Herbst 1989 in der DDR das sozialistische Experiment beendete, schien auch das Schicksal der Staatspartei SED besiegelt. Da die Partei aber nicht verboten wurde und es gewiefte Parteiführer wie Gregor Gysi verstanden, ihr schnell ein demokratisch gefärbtes Mäntelchen mit dem Namen PDS überzustreifen, sind die einstigen Einheitssozialisten heute als Linkspartei sogar in einigen Bundesländern wieder an den Hebeln der Macht.

Wie es dazu gekommen ist, läßt sich in der Untersuchung „Die programmatische Entwicklung der PDS. Kontinuität und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei“ nachlesen. Für seine Doktorarbeit hat sich der Berliner Politikwissenschaftler Sebastian Prinz detailliert mit der Entwicklung der Partei beschäftigt. Er stützt seine Arbeit nicht nur auf politische Studien, sondern auch auf eine genaue Auswertung der Parteiprogramme, Arbeitspapiere, Interviews und Zeitungsbeiträge. Auf fast 500 Seiten werden die programmatische Entwicklung der PDS und ihrer Strömungen bis zur Annahme des neuen Programms 2003 dargestellt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit die Partei in der Grundordnung der Bundesrepublik angekommen ist.

Mit dem Zusammenbruch der DDR ging es 1989/1990 vor allem darum, die geächtete Partei zu retten. Blitzschnell wurde der Sowjetmarxismus durch den ideologiefernen Gysi-Pragmatismus ersetzt und Etappenziele formuliert, die Schritt für Schritt abgearbeitet wurden: Die verbliebene Basis in den östlichen Bundesländern sollte behauptet und ausgebaut, die Isolation der Partei überwunden werden. Die PDS sollte Akzeptanz gewinnen und für die SPD zum potentiellen Koalitionspartner werden. Weitere Ziele waren die Westausdehnung und das Wachsen zu einer gesamtdeutschen Partei. Das Endziel blieb der Sozialismus.

Gysis „bunte Truppe“ war nur Fassade

Was allerdings  unter einem „demokratischen Sozialismus“ zu verstehen ist, darüber streitet die PDS seit ihrem Parteitag im Dezember 1989. Prinz zeichnet die unzähligen Dispute zwischen den Reformern und Dogmatikern nach. Besann sich die SED/PDS in einer ersten Phase programmatischer Orientierungslosigkeit auf in der DDR verfemte Theoretiker und SED-Dissidenten, so war die Arbeit bald genau verteilt: SED-Kader versuchten Reformen von oben durchzudrücken, die das Überleben sichern sollten. Aufgabe des Vorsitzenden Lothar Biesky war es, alle Strömungen innerhalb der Partei zu kanalisieren. Gysi wirkte als witzig-spritzige charismatische Führungsfigur nach außen.

Überdies ging es darum, Altkommunisten und Orthodoxe in der Partei zu halten. Die Rücksicht auf die ehemaligen SED-Mitglieder erklärt auch die zunehmende Verklärung der DDR-Vergangenheit als „legitimes sozialistisches Experiment“, das an den schwierigen Umständen gescheitert sei. Auch der Spagat zwischen Reformern und Orthodoxen wie der Kommunistischen Plattform, die die Grundordnung der Bundesrepublik prinzipiell ablehnen und beseitigen wollen, gelang. Es wurden programmatische Angebote an alle Strömungen gemacht. So wurde die PDS seit 1990 mehr als jede andere deutsche Partei eine „diskutierende Partei“.

Natürlich war Gysis „bunte Truppe“ nur Fassade. Die Kluft zwischen dem Modernisierungswillen der Führung und dem Beharrungsvermögen der Basis wurde nie überwunden. Prinz arbeitet detailliert heraus, daß die Außenansicht der PDS, die der Öffentlichkeit vorgegaukelt wurde, eine deutlich andere ist, als die von der Masse der Mitglieder vertretene Meinung. Die Orthodoxen seien keine Minderheit, auch wenn die hauptberuflichen Kader meistens Reformer seien. Die PDS habe sich nicht erneuert, sondern sich lediglich Erneuerer in der Parteiführung geleistet, zitiert er Christian von Ditfurth.

Kurz vor der Vereinigung in der WASG schienen sich innerhalb der PDS-Führung die Reformer durchgesetzt zu haben. Infolge der Marginalisierung der Orthodoxen gab es immer weniger eindeutig extremistische Positionen. „Ob die PDS sich nur der für – zumindest auf absehbare Zeit – weitgehend unabänderlich gehaltenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung fügte oder diese aus Überzeugung bejahte“, ist auch für Sebastian Prinz nach eingehendem Studium der programmatischen Entwicklung fraglich. Die theoretischen Vorstöße hätten „nichts eigentlich Schöpferisches“. Mit ihnen passe die Führungselite die Partei lediglich an Erfordernisse, Situationen und eventuelle Wünsche potentieller Bündnispartner an: Die PDS-Programmatik besteht aus sozialdemokratischen und grünen

Puzzleteilen plus einer Brise DDR-Verklärung.  Die meisten ihrer Zwischenziele hat die inzwischen mit der WASG zur Linken fusionierte SED erreicht: Sie ist eine gesamtdeutsche Partei und erscheint vielen mittlerweile als eine ganz normale Partei.

Sebastian Prinz: Die programmatische Entwicklung der PDS. Kontinuitäten und Wandel der Politik einer sozialistischen Partei. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, broschiert, 488 Seiten, 49,95 Euro

Foto: Satirisches Duschgel: Die SED/PDS hat sich erfolgreich reingewaschen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen