© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Mit Blaulicht durch Berlin
Marcus Schmidt

Wenn ausländische Staatsgäste zu Besuch in Berlin sind, wird es auf den Straßen der Hauptstadt hektisch. Um die Gäste sicher und ihrer Bedeutung angemessen ins Regierungsviertel zu geleiten, betreibt die Polizei einen immensen Aufwand.

Schon Minuten bevor die Kolonne mit den dunklen und vor allem abgedunkelten Staatskarossen heranrauscht, tauchen entlang der entsprechenden Hauptstraßen, der sogenannten Protokollstrecken, Polizisten auf, um die Nebenstraße abzusperren. Unmittelbar vor der Kolonne fahren dann – sicher ist sicher – Polizisten auf Motorrädern die Strecke ab, um Autofahrer, die sich trotz aller Absperrungen auf die Strecke verirrt haben, mit unmißverständlichen Ansagen zu verscheuchen („Der schwarze Golf biegt jetzt rechts ab!“).

Die Anwohner der wenigen in Frage kommenden Strecken, die vom Flughafen Tegel nach Berlin-Mitte führen und  zwischen denen aus Sicherheitsgründen immer wieder gewechselt wird, können am jeweils betriebenen Sicherheitsaufwand erahnen, wie wichtig der Besucher ist, und welche Bedeutung sein Heimatland für Deutschland hat. Wenn besonders gefährdete Gäste zu Besuch sind, wie etwa der irakische Ministerpräsident Maliki oder gar amerikanische oder israelische Regierungsmitglieder, dann scheint es mitunter so, als habe die Berliner Polizei auch ihre letzten Reserven mobilisiert. Eine schier nicht abreißende Kolonne von Einsatzfahrzeugen und Rettungswagen begleitet dann die gepanzerten Staatskarossen. Wenn dann auch noch Scharfschützen entlang der Strecke in Stellung gehen oder aus der Dachluke eines Begleitfahrzeugs argwöhnisch die Umgebung beäugen, dann haben nicht nur die Touristen entlang der Strecke etwas zum Staunen.

Zumindest die Scharfschützen haben vermutlich keinen Blick für den Fahnenschmuck. Dabei ist auch die Beflaggung der öffentlichen Gebäude am Wegesrand ganz genau geregelt. „Bei einem Staatsbesuch – im Unterschied zu einem Offiziellen Besuch, einem Arbeitsbesuch oder einem Terminbesuch von Staats- oder Regierungschefs – wird in Berlin auch die sogenannte Protokollstrecke beflaggt“, weiß das Bundesinnministerium zu berichten.Hierbei wird abwechselnd die Europa-flagge, die Flagge des Gastlandes und die Bundesflagge gehißt.

Bewohner des Berliner Ostens mögen sich bei diesem Aufwand an die Protokollstrecke durch die ehemalige „Hauptstadt der DDR“ erinnert fühlen. Diese war allerdings nicht für Staatsgäste, sondern für die Staats- und Parteiführung bestimmt. Auf der legendenumrankten Strecke von der Bonzen-Siedlung Wandlitz ins Stadtzentrum rauschten Erich Honecker und andere hohe SED-Funktionäre täglich bestens bewacht von der allgegenwärtigen Staatssicherheit in ihre Büros. Um dem Genossen Generalsekretär zu zeigen, wie schön die Metropole seines Arbeiter- und Bauernparadieses ist, wurden sogar die Fassaden der meist ziemlich maroden Häuser an der Strecke bis zum ersten Stock regelmäßg frisch gestrichen. Ein Service, auf den Staatsbesucher heute verzichten müssen.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen