© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Rückbesinnung auf die Wurzeln
Linkstrend: Die sächsische Union bemüht sich unter dem Eindruck des Richtungsstreits in der Partei um ein schärferes konservatives Profil
Paul Leonhard

Der Dresdner Politologe Werner Patzelt hat der CDU die Leviten gelesen. Sie habe konservative Positionen und Symbole verfallen lassen, damit konservative und rechte Wählerschaft verprellt und dafür gesorgt, daß viele ehemalige CDU-Wähler nicht mehr an die Wahlurnen gegangen sind. Überdies sei man dem Glauben „an die befreiende Kraft von Multikulti“ der Linken lediglich „mit feigem Gewährenlassen begegnet“. Dafür habe es freilich auch Gründe gegeben, sagte Patzelt jüngst in einem Interview mit einer Dresdner Tageszeitung. „Wer allzu nachdrücklich behauptete, daß es etwas wie eine bewahrenswerte deutsche Kultur gäbe, wurde rasch des Nationalismus und der Fremdenfeindlichkeit bezeichnet. Und bevor man sich da ins Abseits drängen ließ, verzichtete man lieber auf die Diskussion.“ Die Folge war auch in Sachsen eine gesichtslose Union. Parteiinterne Kritiker wie der frühere Bundestagsabgeordnete Henry Nitzsche wurden aus der Partei gedrängt oder wie der Leipziger Konservative Volker Schimpff politisch kalt gestellt. Die Linke bestimmte, was risikoloses Denken und Sprechen ist, und die Sachsen-Union parierte.

Das soll sich nun ändern. CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer hat die Mitglieder der sächsischen Union aufgerufen, gemeinsam ein neues Zukunftsprogramm zu entwerfen. Im Herbst 2011 soll es verabschiedet werden. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, der mittlerweile zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden aufgerückt ist, zeigte sich kurzzeitig geläutert: Begriffe wie Patriotismus, Heimat und Vaterland seien wichtig und eine „Grundeinstellung der CDU“. Man sei in der Vergangenheit vielleicht etwas zu elitär gewesen. Elitär sind die Mitglieder der eigens gebildeten Zukunftskommission: Mitglieder von Kreisverbänden, Landesfachgruppen, Sonderorganisationen, aus dem Landesvorstand, Landtagsfraktion und Landesgruppen sowie Experten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Die parteiinterne Opposition oder konservative ehemalige CDU-Mitglieder sind nicht vertreten. Auch die Basisorganisationen bleiben weitgehend außen vor. Den Mitgliedern wird lediglich angeboten, sich über den aktuellen Stand der Diskussionen auf einer eigens eingerichteten Internetplattform zu informieren. Hier sei jeder eingeladen, sich „in die Diskussion einzuschalten“, sagte Kretschmer. Noch ist es allerdings unmöglich, sich an der Diskussion von Thesen beteiligen oder diese zu kommentieren. Lediglich die Thesen zum Thema Europa stehen seit Ende Oktober im Internet. Sonst sind allein Abstimmungen zur Gewichtung möglich. Ob Themen wie Europa, Familie, Bildung und Kultur, Arbeit, Heimat und Werte, Internet oder Nachhaltigkeit und Umwelt einem „sehr wichtig“ oder „eher unwichtig“ sind, können CDU-Mitglieder bekunden. Interessierte nicht Parteimitglieder werden sich zur Debatte erst ab dem Frühjahr 2011 einbringen können.

Angst vor einer neuen Partei

Dabei versprechen die von der Parteispitze formulieren zehn Leitgedanken für das Grundsatzprogramm auch Transparenz. Man wolle keine Gedanken ausschließen und das Verbindende, nicht das Trennende betonen. Man wolle nicht über Begriffe streiten, sondern die Wege beschreiben. Reichlich doppeldeutig ist der achte Punkt: „Unser Maßstab ist die Lebenswirklichkeit des Menschen.“ Zur Realität der Sachsen-Union gehört, daß sie stark überaltert ist.

Die Generation der durchaus an politischen Themen interessierten 30- bis 45jährigen hat in der Partei keine Heimat gefunden. Auch, weil es bisher nicht diese Freiheit von „Denk- und Redegrenzen“ gab, die Tillich jetzt verspricht. Andererseits, hat Politologe Patzelt gewarnt, könnte durchaus eine Parteigründung rechts der Union erfolgen. Bisher habe es dafür lediglich an persönlich integren Personen gemangelt, die „klar auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen, sich nicht in geschichtspolitische Gespensterdebatten begeben und klar zum Ausdruck bringen, daß sie für einen starken Rechtsstaat sind, der in Deutschland eine deutsche Kultur aufrechterhalten wird“.

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