© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Hilflosigkeit im Angesicht des Terrors
Innere Sicherheit: Die Politik reagiert mit Aktionismus auf drohende Anschläge
Sverre Schacht

Wir schätzen die Bedrohungslage als ernst ein, ohne daß wir uns ganz sicher sind“, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Deutschland steht laut jüngster Warnungen des Bundes-kriminalamts ein Terroranschlag islamischer Extremisten möglicherweise unmittelbar bevor. Die Warnung traf vergangene Woche zeitlich mit der Innenministerkonferenz in Hamburg und den Diskussionen zur Sicherheit im Luftfrachtverkehr zusammen.

Erst vor wenigen Wochen starben einige durch Videobotschaften wortmächtig gewordene Terrorhelfer aus Deutschland am Hindukusch bei einem amerikanischen Angriff (JF 44/10). Die islamistische Video-Drohszene ist seither stiller. Dennoch: Die Lage sei ernster als noch im Umfeld der Bundestagswahl 2009, glaubt de Maizière. Damals gaben Drohvideos den Ausschlag für erhöhte Wachsamkeit.  Laut Hinweisen aus dem Ausland planen demnach radikale Islamisten bis Ende November Anschläge in Deutschland. Die Bedrohungslage bleibt trotz behördlicher Erklärungsversuche abstrakt. So wetteifern die Medien darum, konkrete Anschlagsziele zu benennen. Das Gütesiegel „bestinformiert“ wird mit Spekulationen erkauft – „unverantwortlich“ kritisiert der Innenminister. Mal ist angeblich der Reichstag baldiges Ziel, mal ein Flugzeug. Laut ARD ist ein sechsköpfiges Terrorkommando auf dem Weg nach Deutschland.

Luftfracht als Sicherheitsrisiko

Mitte vergangener Woche hatte die Polizei auf dem Flughafen der namibischen Hauptstadt Windhuk eine verdächtige Laptop-Tasche aus dem Gepäck einer nach Deutschland abflugbereiten Passagiermaschine ausgesondert. Laut Bundeskriminalamt wurden beim Durchleuchten der Tasche Zünder, Kabel und Batterien sichtbar. Deutsche Experten flogen nach Windhuk – Entwarnung, 27 Stunden später: Das Terrorpaket war eine Attrappe. Ein Verdächtiger ist laut namibischem Polizeichef Sebastian Ndeitunga bereits geständig: ein ungenannter ranghoher Polizist der Abteilung Flugsicherheit.

Laut ZDF war die Bomben-Attrappe von amerikanischen Behörden auf den Weg gebracht worden, um die Sicherheit in Windhuk zu testen. Ergebnis ist ein Test deutschen Sicherheitsverständnisses. Nicht nur die Dauer der Untersuchung lenkt den Blick erneut auf den deutschen Luftverkehr. Schon im September hatte das Terrornetzwerk Al-Qaida Sicherheitslücken im internationalen Luftfrachtverkehr getestet und vom Jemen aus Pakete an jüdische Einrichtungen in Chicago verschickt. Die Pakete enthielten keine scharfen Sprengsätze – ein Testlauf von Al-Qaida. Zumindest amerikanische Geheimdienste waren seither gewarnt, wie der Fernsehsender ABC berichtet.

Viele Politiker agieren hilflos

Ende Oktober durchliefen dann funktionsfähige Sprengsätze vom Jemen aus beim Umladen Richtung Vereinigte Staaten unbeanstandet den Flughafen Köln/Bonn. Die gravierenden Sicherheitsmängel in Deutschland bei der Überwachung global abgewickelter Luftfracht sind seither nicht mehr zu leugnen. De Maizière und seine Amtskollegen aus den Bundesländern müssen sich vorwerfen lassen, dieses Einfallstor für Anschläge viel zu lange unbeachtet gelassen zu haben. Logistikfirmen kontrollieren weitgehend in Eigenregie – bei Konkurrenz und Kostendruck ein heikler Zustand. Jahrelang hat der Bund hoheitliche Sicherheitsaufgaben in private Hände gegeben, um zu sparen. „Luftsicherheit gehört nicht in die Hände von privaten Sicherheitsfirmen“, fordern nun aber nicht die Innenminister, sondern Polizeigewerkschafter. Die Bundespolizei soll mehr Aufgaben bekommen, so die Innenpolitiker – was sie nicht sagen: bei gleichzeitiger Personalkürzung.

Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD) lieferte unterdessen ein Beispiel für die Hilflosigkeit der Politik. Er gab Bürgern den Tip, wer in seiner Umgebung beobachte, daß „seltsam aussehende Menschen eingezogen sind, die sich nie blicken lassen und die nur Arabisch oder eine unverständliche Fremdsprache sprechen“, solle die Behörden unterrichten. Die Telefone Berliner Behörden müßten demnach seit Jahren Sturm klingeln.

Foto: Bundespolizei sichert den Reichstag:  Trotz Terrorgefahr werden weiter Stellen gestrichen

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