© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Wunsch nach der Idylle
Parteitag: Vergeblich versuchen die Grünen, sich als pragmatisch zu präsentieren
Lion Edler

Überraschend dürfte es wohl weder für die Gegner noch für die Anhänger der Grünen gewesen sein: Auf ihrer Bundesdelegiertenkonferenz am vergangenen Wochenende in Freiburg war die Partei vor allem darum bemüht, sich als solide und verantwortungsbewußt zu präsentieren. Denn nachdem die Grünen, je nach Forschungsinstitut, auf bis zu 23 Prozent gekommen waren, macht das Wort von der grünen Volkspartei die Runde. Doch wer Volkspartei sein will, muß mehr bieten als nur Proteste gegen Castor-Transporte oder „Stuttgart 21“.

Cem Özdemir, der zusammen mit Claudia Roth auch künftig die Partei führt, mühte sich besonders emsig um einen pragmatischen Eindruck. Man müsse einsehen, daß sich die Einnahmen aus der Abschaffung des Ehegattensplittings nur einmal ausgeben ließen, ruft der grüne Hoffnungsträger ins Mikrofon. Die Grünen dürften im linken Parteienspektrum nicht den Wettbewerb um die radikalste Forderung mitmachen. Zugleich fehlte es freilich nicht an Angriffen auf Schwarz-Gelb. Die Bundesregierung versuche, „die Gesellschaft in einzelne Millieus aufzuteilen und dann diese Millieus fein säuberlich gegeneinander auszuspielen“, schimpfte Özdemir. Auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer wurde hart angegangen. „Was für ein Alpenkraut hat der eigentlich geraucht“, hob Özdemir an, als er auf die Befürchtung des CSU-Vorsitzenden zu sprechen kam, Zuwanderer könnten Deutschen Arbeitsplätze wegnehmen

Um das Bild der Realo-Partei zu erzwingen, achtete die Parteiführung strengstens darauf, strittige Themen möglichst auszublenden. So vertagte man etwa eine Entscheidung über die parteiintern umstrittene Position zur Rente mit 67. Darüber sollen nun die Spitzengremien der Partei diskutieren. Dagegen einigte man sich bei der Gesundheitspolitik auf eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze von 3.750 auf 5.500 Euro, der heutigen Bemessungsgrenze bei der gesetzlichen Rentenversicherung. Daneben sollen Zusatzbeiträge, Zuzahlungen und Praxisgebühren abgeschafft werden.

Auch die Außenpolik wird bedient

Im Sinne einer Verbesserung kommunaler Finanzen fordern die Grünen die Anhebung der Gewerbesteuer, wozu sie auch Freiberufler in die Steuer einbeziehen. Auch die Außenpolitik wurde vom Parteitag beackert. Beim Nahost-Konflikt plädieren die Grünen für eine Zwei-Staaten-Regelung. In den Grundlinien der Nahostpolitik will die Partei eine „baldige palästinensische Staatswerdung“. Zunächst müsse Israel jedoch seine Siedlungsaktivitäten einstellen. Daneben sprachen sich die Grünen für die sofortige Aufhebung der Gaza-Blockade aus. Sollten Israelis und Palästinenser gemeinsam eine deutsche Beteiligung an einer Mission der Vereinten Nationen, etwa zur Sicherung der Grenze zwischen beiden Staaten, wünschen, so solle dies ernsthaft geprüft werden.

Doch einmal wird der Wunsch der Parteioberen nach Idylle und Einigkeit durch ein peinliches Desaster durchkreuzt: Gegen die Position der Parteiführung votierte die Basis gegen die Unterstützung der Bewerbung Münchens um die Olympischen Winterspiele 2018. Parteichefin Claudia Roth sah sich daraufhin gezwungen, sofort aus dem Kuratorium der Bewerbergesellschaft zurückzutreten. Damit mußte Roth beim Parteitag bereits die zweite Schlappe hinnehmen, nachdem sie bereits bei ihrer Wiederwahl zur Vorsitzenden unter 80 Prozent der Stimmen blieb.

Als Argumente gegen die Bewerbung für die Olympischen Spiele führten die Grünen ökologische Mängel, finanzielle Kosten und Intransparenz ins Feld. Das hört sich sehr nach „Stuttgart 21“ an, und so war es offenbar auch gemeint. Einige Redner warnten, die Olympiabewerbung könne zum nächsten „S21“ werden, nur daß diesmal die Grünen am Pranger stünden. Ändern wird das Votum der Basis allerdings voraussichtlich nichts: Die Bundesregierung signalisierte ebenso wie der Münchner Stadtrat und der Garmischer Gemeinderat Unterstützung; aufhalten kann das Vorhaben wohl allenfalls noch das Internationale Olympische Komitee.

 

Umfragehoch

Die Umfrageinstitute verzeichnen für die Grünen seit Wochen steigende Umfragewerte. Mittlerweile können sich die Befragten auch mit einem grünen Kanzlerkandidaten anfreunden.  Laut einer Emnid-Umfrage sprechen sich 49 Prozent der Bundesbürger dafür aus, daß die Partei 2013 einen eigenen Kandidaten aufstellt. Favorit (22 Prozent) ist dabei Renate Künast, die gerade zur Kandidatin für das Amt des Regierenden Bürgermeisters von Berlin gekürt worden ist.

Foto: Grünen-Chefin Claudia Roth: Für ihr Olympia-Engagement abgestraft

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