© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  48/10 26. November 2010

Die Gorch Fock und die wehrfähige Bundeswehr
Seelische Verfaßtheiten
von Matthias Bäkermann

Geschichten am Rande sind es, die manchmal mehr Aufschluß bieten als die „großen Reformen“. Im Fall der Bundeswehr sagt vielleicht die Aufhebung, pardon: „Aussetzung“ der Wehrpflicht, die in der Praxis bereits zuvor systematisch ausgehöhlt und sinnentlehrt wurde, weniger über den inneren Zustand der Armee aus als ein schicksalhaftes Ereignis bei der Ausbildung des eigenen Führungspersonals.

Anfang November verlor eine Kadettin während des Hafenaufenthalts der Gorch Fock im brasilianischen Salvador da Bahia den Halt und stürzte aus der Takelage des Dreimasters auf das Deck. Dieser tödliche Zwischenfall ist bedauerlich, aber in der deutschen Marinegeschichte wie wohl der christlichen Seefahrt insgesamt alles andere als ein Einzelfall. Tragischer noch als der Tod der 25jährigen Offiziersanwärterin ist die hysterische Reaktion der Armeeführung. Aus „Rücksicht auf die seelische Verfassung einiger Soldaten“ hat das Flottenkommando die Offiziersausbildung auf der Gorch Fock bis September 2011 ausgesetzt, alle 70 Lehrgangsteilnehmer umgehend nach Deutschland zurückgeflogen. Sogar das Ausbildungskonzept „komme auf den Prüfstand“, läßt die Marineführung mitteilen. Wie jenes in einer künftigen Einsatzarmee mit Gefechtsoption aussehen soll, wenn man selbst einen Unfalltod seinen angehenden Offizieren nicht mehr zuzumuten gewillt ist, läßt dunkle Schlüsse auf den Mobilisierungsgrad der Truppenführung zu.

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