© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Umwelt
Orient-Expreß
Volker Kempf

Früher wußte Oma, welches Reinigungsmittel wogegen am besten hilft. Heute wird man eher in Internetforen fündig. Ein großes Thema ist dabei die Kalkentfernung. Beste Empfehlungen erhielt dort das Reinigungsmittel Por Çöz. Wo traditionelle Hausmittel erst stundenlang einwirken müssen, zersetzt das türkische Produkt den Kalk in zwei bis drei Minuten. Verkauft wurde das Wundermittel nicht in Drogeriemärkten, sondern in Orientläden. Dummerweise bewirkt das Reinigungswunder nicht eine neue Zauberfomel, sondern ein kräftiger Schuß Salpetersäure (HNO3). Das bekam auch das Umweltbundesamt (UBA) mit. Die Dessauer Behörde machte daher in Absprache mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung erstmals von einer Regelung des Wasch- und Reinigungsgesetzes (WRMG) Gebrauch, wonach ein Produkt verboten wird, das nachweislich ein Risiko für die Umwelt oder die Gesundheit darstellt.

Das Gesetz greife bei einem HNO3-Gehalt von über 20 Prozent, so das UBA. Die Dämpfe, welche die Salpetersäure freisetze, könnten Schleimhautschäden hervorrufen und die Lunge schädigen. Die deutschen Giftinformationszentren meldeten bereits 134 Fälle, bei denen Menschen durch salpetersäurehaltige Kalk- und Rostlöser zum Teil schwere Gesundheitsschäden erlitten. Aber es gibt genug deutsche Konkurrenzprodukte. Diese können im Kampf gegen Kalk mit dem nun aus dem Verkehr gezogenen türkischen Produkt zwar nicht ganz mithalten, aber nach längerer Einwirkung erzielen auch diese ihre gewünschte Wirkung. Meist genügt ohnehin handelsübliche Zitronensäure oder Essigessenz. Geputzt wird dann wie zu Großmutters Zeiten. Nicht alles, was als das Neueste und Beste angepriesen wird, muß besser sein als ein altbewährtes Hausmittel. Risiken und Nebenwirkungen haben schon so manchen Fortschritt deutlich relativiert – nicht nur im Haushalt.

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