© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Dahinter stecken viele Köpfe, auch kluge
Der Streit um die Studie über das Auswärtige Amt offenbart die Grabenkämpfe bei der FAZ
Karlheinz Weissmann

Am Freitag der vergangenen Woche erschien in der Frankfurter Allgemeinen (FAZ) ein ungewöhnlicher Artikel. Illustriert mit einem Ausriß der Nummer vom 18. März 1952 wurde da von Rainer Blasius, Leiter des Ressorts Zeitgeschichte, dargestellt, daß die als Sensation präsentierte Verstrickung des Auswärtigen Amtes in die Judenvernichtung während der NS-Zeit (einschließlich der Rolle des „Judenreferenten“ Franz Rademacher) in Wirklichkeit längst bekannt war und schon in der Nachkriegszeit zu Debatten über die personelle Kontinuität im AA beziehungsweise Strafverfolgung von Schuldigen geführt hatte.

Das war überraschend für jeden, der die Entwicklung der Berichterstattung zu dem von einer Unabhängigen Historikerkommission (UHK) erarbeiteten Buch „Das Amt und die Vergangenheit“, nur in den großen Medien verfolgte. Mußte der Leser doch den Eindruck haben, als ob einhellig die Auffassung vertreten werde, hier sei ein letzter Schlag gegen einen mächtigen „Mythos“ von der Wilhelmstraße als sauberer Behörde oder Hort des Widerstands geführt worden, letztlich dessen Funktion als „verbrecherische Organisation“ (UHK-Mitglied Eckart Conze) nachgewiesen.

Die Frankfurter Allgemeine folgte diesem Trend unter dem maßgeblichen Einfluß Frank Schirrmachers, der dem Leser erklärte, mit der nun vorliegenden Darstellung der Zusammenhänge erreiche man eine „historische Zäsur, die unhintergehbar ist“. Und: „Der Bericht der Historikerkommission ergibt: Das Auswärtige Amt war systematisch an der Judenvernichtung beteiligt.“ Auf sieben Seiten wurden die Ergebnisse in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) präsentiert, Schirrmacher selbst führte ein Interview mit Joschka Fischer, Volker Zastrow feierte (etwas überraschend) die aufklärerische Großtat und nur Blasius widersprach in der Sache, der Redakteur Georg Paul Hefty und der Herausgeber Berthold Kohler konterten mit kleinen Glossen, die aber vor allem die redlichen Motive Fischers in Zweifel zogen, der die ganze Entwicklung mit seiner Nachrufregelung für Diplomaten aus der NS-Zeit in Gang gesetzt hatte.

Der Spiegel thematisiert diese „Richtungsfehde“ in seiner neuesten Ausgabe, weist aber nur etwas verklausuliert darauf hin, daß das nicht die erste in der FAZ sei. Tatsächlich ist die ideologische Differenz zwischen der „schwarzen“ – also eher konservativen – Politik, dem „roten“ – also eher linken – Feuilleton und der „goldenen“ – also eher liberalen – Wirtschaft nicht neu. Entsprechende Rollenverteilungen haben bürgerliche Blätter seit langem praktiziert, auch die verhältnismäßig rechte Zeit der fünfziger Jahre oder die Deutsche Zeitung gönnten sich um der Farbigkeit willen etwas progressive Kultur. Ob dafür kluge Taktik oder geschwächtes Selbstbewußtsein ausschlaggebend waren, ist schwer zu sagen.

Jedenfalls griff der legendäre Feuilletonchef der FAZ, Karl Korn, damals ausgerechnet auf einen Jürgen Habermas zurück, um die konservativen Denkmeister Carl Schmitt, Arnold Gehlen oder Martin Heidegger im bürgerlichen Leitmedium angreifen zu lassen. Hier spielte die Absicht mit, in der fortschrittlichen Intelligenz Rückendeckung zu gewinnen, falls die braunen Flecken der eigenen Biographie ans Licht kommen sollten. Ein Motiv, das man genauso hinter der Öffnung nach links während der Studentenrevolte vermuten darf, als Korn Karl Heinz Bohrer in sein Blatt holte, der noch sehr weit entfernt war von späteren Einsichten, stattdessen als Stichwortgeber und Sympathisant der APO fungierte. Hans Habe notierte 1970, die FAZ könne „man gewiß nicht als Links-Zeitung bezeichnen. Es sei denn, daß man nur ihr Feuilleton läse.“

Seitdem hat sich vieles verändert, aber bei den Binnenkonflikten zwischen Kultur- und Politikteil ist es geblieben, und angesichts der Bedeutung der Frankfurter werden die von einer interessierten Öffentlichkeit wesentlich aufmerksamer beobachtet als Querelen in anderen Medien. Zwar dringt über Interna wenig nach außen, aber während des Historikerstreits oder der Auseinandersetzung um die Walser-Rede bei Verleihung des Friedenspreises konnte man immer wieder den Eindruck haben, als bestehe die FAZ aus zwei Zeitungen.

Wer bei den Konflikten jeweils obsiegt, ist schwer abzuschätzen, einmal setzt sich die Politik durch, einmal das Feuilleton. Zuletzt zeichnete sich der Frontverlauf ab während der Sarrazin-Debatte, als Schirrmacher versuchte, die Interpretationslinie im Sinn des Zeitgeistes  vorzugeben, damit anfangs erfolgreich schien, dann aber vom allgemeinen Stimmungsumschwung und dem Widerspruch seiner Kollegen Hefty und Kohler genötigt war, seine Position zurückzunehmen und zu korrigieren. Vor diesem Hintergrund kann man die Art, wie er versucht hat, die Diskussion um „Das Amt“ zu organisieren, auch als Versuch einer Revanche für die letzte Niederlage deuten.

 

Insiderbericht

Ein ehemaliger FAZ-Redakteur über den Stellungskrieg zwischen den Ressorts:  „Die Differenzen traten auf, als das Feuilleton glaubte, ein politisches Feuilleton werden zu müssen. Das hat unter Joachim Fest angefangen und sich dann unter Frank Schirrmacher verstärkt.“ Die widersprüchlichen Positionen der letzten Zeit seien aber auch Ausdruck der Geschäftsstrategie, vermutet der Journalist: „Damit hält Schirrmacher die FAZ im Gespräch.“

Foto: Flatterhaft: Diese neue Werbekampagne der FAZ paßt ungewollt zum Schlingerkurs der Zeitung, die mal rechts, mal links, mal mittig ist

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