© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  47/10 19. November 2010

Bloß nicht provozieren
Klima der Angst: Aus Furcht vor den Reaktionen türkischer und arabischer Zuwanderer vertuschen immer mehr Berliner Schulen die Probleme des multikulturellen Alltags
Ronald Gläser

Die Zustände an Berliner Schulen sind noch katastrophaler als bislang vermutet. Mitarbeiter werden eingeschüchert, nichtmuslimische Schüler fühlen sich diskriminiert, und Vorzeigeprojekte wie die Herbert-Hoover-Schule entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Potemkinsche Dörfer.

Die Süddeutsche Zeitung berichtete in der vergangenen Woche über eine Schülerin der Elisabeth-Schule in Berlin-Charlottenburg, die einen extrem hohen Migrantenanteil hat. Das Mädchen berichtet, daß es mit zwei anderen Deutschen in einer Klasse alleine unter Türken und Arabern war. „Ich habe nichts verstanden. In den Pausen und im Unterricht haben alle türkisch und arabisch geredet.“ Außerdem habe der Hunger im Ramadan „genervt“. Während der islamischen Fastenzeit wurde die Schulkantine geschlossen, „und wir hatten wochenlang ein Loch im Bauch“.

Außerdem ist es in Berlin längst „normal“, daß in Schulkantinen vor allem in Grundschulen kein Schweinefleisch serviert wird. Bislang galt diese Praxis als Einzelfall. Eine Nachfrage beweist aber, daß sie weit verbreitet ist: Von vier befragten Weddinger Grundschulen wollte eine nichts sagen (Erika-Mann-Grundschule). Eine erklärte, es gäbe nur selten Schweinefleisch, im November nur dreimal (Gottfried-Röhl-Schule). Und zwei Grundschulen (Gebrüder-Grimm-Grundschule, Carl-Kraemer-Schule) teilten mit, daß Schweinefleisch komplett vom Speiseplan gestrichen sei.  Aussage einer Lehrerin: „Das machen wir gar nicht – damit die Kinder nicht tauschen.“ Auf die Frage, wieso die Schüler untereinander das Essen nicht tauschen sollen, antwortet sie knapp: „Na wat glauben Se, wat uns da die Eltern erzählen würden!“

Es muß unterlassen werden, was die muslimischen Eltern „provoziert“. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz an Berliner Schulen. Nicht jeder Schulbedienstete findet das richtig. Eine Mitarbeiterin einer Weddinger Oberschule ist empört: „Ich lebe hier in meinem Land und muß mich nach denen richten.“ Sie will nicht namentlich genannt werden.

Übertriebene Vorsicht? Müssen Schulbedienstete schweigen? Wenn sie weiterbeschäftigt werden wollen, lautet die Antwort ja. Der 48 Jahre alte Sozialarbeiter Thomas Knorr hätte vermutlich heute noch seinen Job, wenn er nur den Mund gehalten hätte.

Knorr war an der Gustav-Langenscheidt-Schule in Schöneberg beschäftigt (siebzig Prozent Ausländeranteil). In einem Vortrag berichtete er den Eltern seiner Schüler, in welch rüdem Ton türkische und arabische Schüler die verbliebenen deutschen Mitschüler diskriminierten. „Hier stinkt es nach Schwein“, ist eine beliebte Beschimpfung. Ebenfalls als Beleidigung ist das Wort „Kartoffel“ gemeint. Manchmal sind es aber nicht nur verbale Entgleisungen. Eine von Knorrs Schülerinnen hat sich wegen des miesen Klimas nicht mehr in den Unterricht getraut.

Nach dem Vortrag, so berichtet Knorr, sei ihm an der Gustav-Langenscheidt-Schule eisiger Wind entgegengeweht. Er wurde „zur Seite genommen“, dann gekündigt, eine Woche nach dem Vortrag. Für Knorr liegt die Sache auf der Hand: Er hat die Mauer des Schweigens gebrochen und mußte bestraft werden. Die Schulleiterin Ruth Jordan und weitere Verantwortliche äußern sich nicht zu den Gründen für die Entlassung.

Auch andere Problemschulen verschweigen die wahren Zustände, statt sie beherzt anzugehen: Die Herbert-Hoover-Schule im Wedding beispielsweise wird seit Jahren als Vorzeigeschule angepriesen und zur Zeit für 2,7 Millionen Euro aufwendig saniert. Seit Schüler und Lehrer sich in einer „Schulsatzung“ vor fünf Jahren darauf geeinigt haben, nur noch deutsch zu sprechen, wird immer wieder von einer Modellschule gesprochen, von gelungener Integration, von der sich andere ein Stück abschneiden sollten.

2006 wurde die Schule dafür mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnet. Die Berliner CDU hat neulich sogar ihren Parteitag auf das Schulgelände verlegt, um ein Integrationspapier zu beschließen. Auch Wolfgang Thierse (SPD) findet die Schule wegen ihres Deutsch-Gebotes vorbildlich.

Alles nur schöner Schein, wie ein Blick hinter die glänzenden Multikulti-Kulissen zeigt: Ein Rundgang auf dem Pausenhof der Herbert-Hoover-Schule an einem Freitagmittag nährt den Verdacht, daß hier nur sehr wenig deutsch gesprochen wird. Um genau zu sein, war nur dieser eine Satz auf deutsch zu hören: „Jenna, f... dich.“

Der Tip, daß die Herbert-Hoover-Schule die Öffentlichkeit an der Nase herumführt, kam von einem Lehrer, der nicht genannt werden will. Auch ein weiterer Schulbediensteter bestätigt unter Zusicherung von Anonymität: „Ja, die Schüler dort sprechen arabisch und türkisch miteinander.“ Eine Stellungnahme der Schulleitung dazu konnte nicht eingeholt werden. Am Dienstag teilte die Schulsekretärin telefonisch mit: „Unsere Schule ist geschlossen, heute ist das muslimische Opferfest.“

Auch an der Elisabeth-Schule, deren Kantine ihren Betrieb während des Ramadan einstellt, wird gemauert und vertuscht. Es ist Freitagnachmittag, ein Anruf bei der Schulleitung ergibt: „Natürlich wird bei uns die Kantine geschlossen. Hören Sie mal, wir haben einen Anteil nichtdeutscher Kinder in Höhe von 87 Prozent. Da geht doch dann keiner mehr essen“, sagt eine Lehrerin der Schule und fragt dann nach dem Grund des Anrufs. Als sie erfährt, daß es um die Berichte einer deutschen Schülerin über ihre Erfahrungen mit Diskriminierungen an der Schule geht, platzt es aus der Pädagogin heraus: „Jetzt kommen die also aus allen Löchern gekrochen.“ Die Frau ist empört darüber, daß ein Mädchen aus ihrer Schule einem Journalisten gegenüber die Wahrheit gesagt hat. Nach kurzer Zeit richtet sich ihr Zorn auch gegen den Anrufer: „Ich rede nicht mehr mit Ihnen. Vernichten Sie alle Notizen, die Sie gemacht haben. Wenn ich den Namen meiner Schule in der Presse lese, dann werde ich Sie verklagen.“

Das Gespräch endet abrupt, aber nicht untypisch. Kein Lehrerkollegium liest gerne Negatives über die eigene Schule. Also werden schlechte Nachrichten unterdrückt und Mitarbeiter, die dagegen aufbegehren, rausgemobbt. Kein Wunder, daß viele Schüler, Lehrer oder Sozialarbeiter ihren Namen nicht nennen wollen. An Berlins Schulen herrscht ein Klima des Mißtrauens und der Angst.

Foto: Herbert-Hoover-Schule in Berlin-Wedding: Auf dem Schulhof soll nur deutsch gesprochen werden, aber kaum jemand hält sich daran

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen