© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Bis Kriegsende war wenig zu beanstanden
Die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkriegs, Teil II / In den US-Lagern herrschten annehmbare Zustände
Dag Krienen

Knapp 380.000 deutsche Soldaten erlebten zwischen 1943 und 1946 die Kriegsgefangenschaft in den USA. Neunzig Prozent der insgesamt von US-Truppen gefangengenommenen etwa 3,8 Millionen Deutschen wurden allerdings ausschließlich in Lagern in Europa eingesperrt. In die USA gelangten im wesentlichen nur die im Mai 1943 in Nordafrika zur Kapitulation gezwungenen Wehrmachtsangehörigen – darunter viele Veteranen des Afrikakorps, die von den Briten an die Amerikaner überstellt worden waren – sowie die im Zuge der Kämpfe in Italien und in Frankreich bis etwa Ende 1944 in Gefangenschaft geratenen Soldaten.

Die Deutschen wurden unmittelbar nach der Gefangennahme und beim Transport nicht immer völkerrechtskonform behandelt. Kaum einer entging der Unsitte amerikanischer GIs, ihre Gefangenen nach Kriegstrophäen in Form von Ausrüstungsstücken, Uhren und Ehrenzeichen zu „filzen“. In den Lagern in den USA selbst waren hingegen die Behörden aus Angst vor deutschen Repressalien gegen amerikanische Kriegsgefangene bis Ende 1944 penibel darauf bedacht, die „Prisoners of War“ (POWs) gemäß den Regeln der Genfer Konvention von 1929 zu behandeln. Der Überfluß der Ressourcen des Landes gestattete den Amerikanern dabei eine relativ großzügige Auslegung dieser Regeln zu deren Gunsten.

1943 und 1944 POW in Amerika zu sein, wurde, wie eine Vielzahl von Erlebnisberichten zeigen, von den meisten der Betroffenen als eine akzeptable Form von Kriegsgefangenschaft, wenn diese denn schon unumgänglich war, empfunden. Vor allem die Verpflegung mit Nahrungsmitteln hatte in diesen Jahren einen Umfang und eine Qualität, wie sie von deutschen Soldaten schon lange nicht mehr erlebt worden war. Die üblichen, für die oft ausgehungerten Landser ungewohnt üppigen Mahlzeiten wurden von ihnen immer wieder bewundert und mit launischen Bemerkungen kommentiert wie: „Ich glaube, die Amis wollen uns mit überreicher Kost fertigmachen.“ Nur gelegentlich vermißten sie typisch deutsche Zutaten wie gekochte Salzkartoffeln oder Roggenbrot.

Von 380.000 Gefangenen in den USA starben nur 491

Die Unterbringung in den 155 Kriegsgefangenen-Hauptlagern und die medizinische Versorgung gab im allgemeinen keinen Anlaß zur Beanstandung, nur in den zum Arbeitseinsatz dienenden, oft nur temporären Nebenlagern traf dies nicht immer zu. Dies gilt auch für die Freizeitbeschäftigung und geistige Betreuung. Die Deutschen konnten nicht nur ein reges Vortragswesen in eigener Regie entfalten, sondern – in Verbindung mit entsprechenden aus Berlin übermittelten Unterlagen – auch Kurse und Prüfungen zur Berufsausbildung durchführen. Allein die langen Postlaufzeiten nach Europa stellten einen allgemein als solcher empfundenen empfindlichen Nachteil der Kriegsgefangenschaft in den USA dar. Die Schutzmacht der deutschen Kriegsgefangenen, die Schweiz, sowie das Internationale Rote Kreuz monierten unter diesen Umständen bis zum Frühjahr 1945 in der Regel nur kleinere Mißstände in einzelnen Lagern, die auf individuelles Versagen zurückzuführen waren.

Zum Arbeitseinsatz wurden die deutschen Mannschaften mit einiger Verzögerung, dann allerdings relativ konsequent herangezogen. Auf Widerspenstige übten die Amerikaner „administrativen Druck“ durch Entzug von allerlei Vergünstigungen und Bequemlichkeiten, vor allem bei der Verpflegung aus. Aber auch die Reichsregierung wies ihre Landsleute an, sich den von den Amerikanern angeordneten Arbeiten nicht zu verweigern, solange diese der Genfer Konvention entsprachen – was in der Regel der Fall war. Neben den Verrichtungen in den Lagern waren das Hauptbetätigungsfeld der POWs Hilfsdienste diverser Art für die rückwärtigen Dienststellen und Einrichtungen der US-Streitkräfte. In der privaten Wirtschaft wurden Kriegsgefangene in deutlich geringerem Umfang und anfangs nur zögerlich eingesetzt, vor allem in der Land- und Forstwirtschaft, weit seltener in der Industrie (vor allem Konservenindustrie) und nur gelegentlich bei der Reparatur von Eisenbahnstrecken und Straßen sowie als Hilfsarbeiter in Gießereien. Ihre Arbeit wurde ihnen in gewissem Umfang vergütet. Ausgezahlt wurde der Lohn in Gutscheinen, mit denen in den lagerinternen Kantinen Toilettenartikel, Rauch- und Süßwaren sowie Getränke erworben werden konnten. Er konnte aber auch angespart werden, so daß manche Gefangene nach ihrer Entlassung über kleine Dollarguthaben verfügten.

Gut 2.200, am Ende fast ausnahmslos vergebliche Ausbrüche zeigen indes, daß manche der Eingesperrten dem Leben hinter dem Stacheldraht auf jeden Fall entfliehen wollten. Immerhin vierzig kamen durch den Schußwaffengebrauch der Wachen ums Leben. Doch insgesamt war die Todesrate der deutschen Kriegsgefangenen auf dem Boden der USA niedrig. Von den knapp 380.000 starben 1943 bis 1946 nur 491, davon 265 aufgrund natürlicher Ursachen und 83 aufgrund von Unfällen, meist bei der Arbeit.

Gegen Ende des Krieges in Europa und nach dem Wegfall der Angst vor deutschen Repressalien wandelte sich die Haltung der USA gegenüber den POWs auf ihrem Boden erheblich. Zwar behielten diese weiterhin den Status als Kriegsgefangene, doch wurde dieser nun erheblich restriktiver ausgelegt. Wenige Tage nach der deutschen Kapitulation entzog die US-Regierung der Schweiz zudem ihre Funktion als Schutzmacht. Besonders deutlich spürbar wurde dieser Umschwung für die Eingesperrten durch die drastische Verschlechterung der Verpflegung. Die Kost wurde eintönig und wenig ansprechend, Fleisch verschwand fast völlig von den Tellern, das Warenangebot in den Kantinen wurde stark reduziert.

In den ersten Wochen nach der deutschen Kapitulation lagen die Rationen sogar leicht unter dem Existenzminimum, so daß unter den deutschen Gefangenen der Eindruck entstand, daß die Amerikaner ihnen eine „Straf-Fasten-Aktion“ verordnet hätten. Bevor dieses „Fasten“ lebensbedrohliche Formen annahm, wurden die Rationen wieder vergrößert, ohne daß die Verpflegung indes jemals wieder Quantität und Qualität der Zeit vor dem Frühjahr 1945 erreichte. Unter dem Eindruck solcher und anderer Schikanen entwickelte das Ende 1944 zunächst insgeheim angelaufene, erst im Juni 1945 offiziell gemachte und nur halbherzig betriebene Programm zur demokratischen „Umerziehung“ der Gefangenen wenig Wirkung. Manche entwickelten eine eher zynische Haltung gegenüber den „Amis“, die sie offensichtlich mit „Hungerrationen zu ‘Demokraten’ machen wollten“.

Nach der Kapitulation änderten sich die Umstände

Bald sollten sie noch mehr Anlaß zum Zynismus haben. Anders als die meisten anderen Gewahrsamsmächte hatten die USA wenig Interesse daran, deutsche POWs längerfristig als Zwangsarbeitskräfte festzuhalten. Bereits Ende Mai 1945 wurde deshalb vom Kriegsministerium ihre „Repatriierung“ eingeleitet. Zunächst waren die „Nutzlosen“ und die Angehörigen bestimmter, zum Wiederaufbau in den Besatzungszonen Deutschlands dringend benötigter Berufe an der Reihe. Die Masse der deutschen Gefangenen wurde dann zwischen Dezember 1945 und Juni 1946 nach Europa verschifft.

Für viele von ihnen bedeutete dies aber noch lange nicht die Entlassung in die Heimat. Denn die Amerikaner waren zuvor mit den Briten und Franzosen übereingekommen, ihnen einen gewissen Anteil ihrer deutschen POWs zur weiteren Verwendung als Zwangsarbeiter zu überstellen. Entsprechende Gerüchte hatten bei den Deutschen in den US-Camps seit dem Herbst 1945 die Runde gemacht. Sie wurden aber von den Lagerkommandanten und später den Transportoffizieren auf den „Repatriierungsschiffen“ dementiert und allen die direkte Rückkehr in die Heimat versprochen.

Bei der Ankunft in europäischen Häfen stellte sich das als Lüge heraus. 123.000 Kriegsgefangene wurden den Briten „zurückgegeben“ und rund 55.000, ausgewählt nach ihrer Arbeitsfähigkeit, von den Franzosen übernommen. Für nahezu die Hälfte der in den USA in Kriegsgefangenschaft gehaltenen Deutschen endete ihre „Repatriierung“ nicht mit ihrer Rückkehr in die Heimat, sondern mit ein bis zwei weiteren Jahren Zwangsarbeit. Am Ende der Beinahe-Idylle stand so kleinliche Rache, systematischer Betrug und die Verwicklung der Amerikaner in jenen schwunghaften Sklavenhandel, der nach 1945 in Europa mit deutschen Kriegsgefangenen betrieben wurde. Noch dunkler wird das Bild, wenn man die Behandlung jener deutschen Gefangenen ins Auge faßt, die 1945 gar nicht erst in die USA geschafft worden waren.

Foto: Wehrmachtssoldaten 1943 als US-Kriegsgefangene beim Englischunterricht, Camp Blanding, Florida: Nach dem 8. Mai 1945 sollten die Deutschen mit „Hungerrationen zu Demokraten“ gemacht werden

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen