© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Nur mit geschlossenen Augen
Szenisches Grauen: Mozarts „Don Giovanni“ an der Deutschen Oper Berlin
Ivan Denes

Inszenierungen von Mozarts „Don Giovanni“ haben eine lange Tradition im Berliner Opernleben: 1916, 1930, 1937, 1946, 1953 – am 24. September 1961 wurde die neue Deutsche Oper Berlin, wenige Wochen nach Errichtung der Berliner Mauer, mit dem späten Meisterwerk Mozarts feierlich eröffnet; darauf folgten noch zwei Neuinszenierungen 1973 und 1991. Musikalisch gehörte die jüngste Premiere Mitte Oktober dieses Jahres sicherlich mit zu den künstlerischen Spitzenleistungen des Hauses an der Bismarckstraße. Hörte man mit geschlossenen Augen der Vorstellung zu, würde sie zu einem authentischen Erlebnis.

Unter dem Dirigat von Roberto Abbado unterstützte das Orchester der Deutschen Oper mit vorbildlicher Präzision fabelhafte Sänger wie Ildebrando d’Arcangelo in der Titelrolle oder Marina Rebeka als Donna Anna, bei der der Übergang vom Mozartschen „giocoso“, also vom „Verspielten“ zu den tragischen Akzenten des reiferen kompositorischen Genies besonders deutlich zu erkennen war. Alex Esposito verkörperte eine großartige Partie als Leporello, wobei die Inszenierung ihn zusätzlich zu akrobatisch-choreographischen Leistungen zwang. Ruxandra Donose sang meisterhaft die Donna Elvira, die bis zum Ende aus reiner Liebe an die Möglichkeit glaubt, den Verführer zurück auf den Pfad der Tugend bringen zu können. Martina Welschenbach als Zerlina, Yosep Kang als Don Ottavio und Krysztof Szumanski integrierten sich perfekt in das international besetzte Solistenensemble.

Nach der großartigen Ouvertüre – von Mozart erst kurz vor der Premiere anno 1787 verfaßt, in der Kutsche auf der Fahrt von Wien nach Prag – geht der Vorhang auf und läßt den Chor, breit gestreut im Raum der großen Szene des Hauses langsam vortreten. Die Choristen sind modern gekleidet und tragen, quasi als Gewehre geschultert – Golfschläger. Damit beginnt das szenische Grauen. Regisseur Roland Schwab verlegt die Ereignisse und Atmosphäre seiner Inszenierung des Opernlibrettos (Lorenzo da Ponte), dessen Handlung unmißverständlich in Sevilla, um 1600, siedelt, in die Gegenwart. Er versucht, die Opernbühne in eine Art Bild-Zeitung-Ersatz umzufunktionieren – die Golfschläger sollen offenbar eine Anspielung auf die Entlarvung des Golfweltmeisters Tiger Woods als zeitgenössischer „Don Giovanni“ sein.

Es folgen choreographische Einlagen im „Performance“-Stil, von den Choristen eingeschleppte Klappstühle aus einem Gartenmöbelshop, Müllsäcke, flackernde Neonröhren, rote Pappnasen, Peitschen, gemimtes Koitieren auf offener Szene, Sadomaso-Anspielungen, eine von der Decke schwebende Akrobatin, eine barbusige Dame, die entlang der Rampe vor dem Parkett paradiert, am Ende schließlich ein Abendmahl mit Leporello als Freddie Frinton („Dinner for One“). All das gehört zu den „Einfällen“ der völlig entfesselt-enthemmten Phantasie des Regisseurs, der sich vollkommen selbst genügt.

Das Bühnenbild von Piero Vinciguerra und die Kostüme von Renée Listerdal sind bei dieser mehr als fragwürdigen Inszenierung natürlich vollständig dem Gesamtkonzept des Regisseurs untergeordnet.

Dabei ist Roland Schwab offensichtlich von der falschen Voraussetzung ausgegangen, daß jede Metropole, in der Don Giovanni aufgeführt wird, den Figuren ihren eigenen Stil, ihre eigene Lebensweise aufprägt. In dieser Logik müßte in einer muslimischen Metropole Isolde den Liebestod in eine Burka gehüllt sterben. Und weil Berlin laut Roland Schwab eine Heimstätte sinnlicher Ausschweifung ist, muß sein Don Giovanni, diese mythisch-musikalische Reinkarnation des Don Juan, den zentralen Darsteller einer wilden Berliner Nachtclub-Party geben. Die findet auf einem Karussell statt, das wiederum von eingespannten Sklaven gedreht wird – eine wenig subtile Anspielung auf Klassenkampf, die ja in einer „modernen“ Inszenierung nicht fehlen darf.

Der historische Stoff – die Figur des Komtur, das Schloß des Don Giovanni und nicht zuletzt die mythische Figur des Don Juan, der seit Tirso de Molina über Molière, Goldoni, Puschkin, E.T.A. Hoffmann, Dumas, Rostand, Miguel de Unamuno und, und, und durch die Weltliteratur geistert – zwingt zum Respekt vor dem Kanon der großen Kunst. Dazu gehört nicht zuletzt Respekt vor Zeit und Geographie der Handlung. Eine geschmacklose Interpretation auf dem Niveau von Revuetheater oder gar des Zirkus Mondeo, animiert lediglich durch die Darstellung einer falsch verstandenen „Hormongetriebenheit“, wie sich der Regisseur im Programmheft selbst ausdrückt, führt hingegen zum künstlerischen Offenbarungseid.

Die nächsten Vorstellungen von „Don Giovanni“ in der Deutschen Oper Berlin, Bismarckstraße 35, finden erst wieder am 22., 25. und 29. Juni 2011 statt. Kartentelefon: 030 / 34 38 43 43  www.deutscheoperberlin.de

Foto: Leporello (Alex Esposito, M.): Das Festbankett ist als Abendmahl mit Freddie Frinton inszeniert

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