© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Pankraz,
die Kulturen und das Prinzip Labskaus

Ein neues Erschreck- und Totschlagwort ist von den linken Polit-Aufsehern installiert worden: der „Kulturalismus“. Kulturalismus sei noch schlimmer als Rassismus und fast so schlimm wie Antisemitismus. Er sei besonders hinterhältig und schwer zu entlarven, so daß ihm auch mancher an sich harmlose Gutmensch auf den Leim gehe. Um so notwendiger sei es, daß endlich zivilgesellschaftliche Gremien zur Bekämpfung dieses Übels gebildet und vom Staat ordentlich finanziert würden.

Wer sich „auf der Rechten“ für die Respektierung von „Leitkulturen“ stark mache, verkünden etwa die dänischen Politologen Jens-Martin Eriksen und Frederik Stjernfelt, der sei ebenso ein Kulturalist wie jener „eingebildete Linke“, der für „kulturellen Minderheitenschutz“, zum Beispiel gegen das Verbot der Burka in Frankreich, eintrete. Beides sei Unsinn, weil es die regionalen beziehungsweise einwandernden Kulturen als „organische, gewachsene Ganzheiten“ betrachte, welche dem einzelnen Menschen übergeordnet seien.

Dabei gebe es gar keine einzelnen Kulturen, es gebe nur die eine menschliche Weltkultur. Alles Gerede von „gewachsenen“ Regionalkulturen diene lediglich dazu, die Herrschaft momentaner Platzhalter und Machtausüber zu befestigen und die Durchsetzung der Menschenrechte zu verhindern. Das müsse von jedem anständigen Linken bekämpft werden. Der derzeitige „schrille Wechselgesang“ von kulturellen Partikularismen treibe doch nur der Rechten neue Wähler in die Arme. Die wirkliche „Frontlinie“ heute verlaufe zwischen „Aufklärung“ und „Kulturalismus“.

Bemerkenswert an dieser Argumentation findet Pankraz zunächst einmal die völlige Ausblendung der religiösen Frage, die doch von unseren Politikern sonst so auffällig in den Mittelpunkt des Migrantenproblems gerückt wird. Das zeugt an sich von einem geschärften Blick für das, was in unseren Städten wirklich passiert. Denn kein Glaubenskrieg droht dort oder ist schon im Gange, sondern ein  veritabler Kulturkrieg.

Ob islamischer Allah oder christliche Dreieinigkeit – dergleichen ist dem „aufgeklärten“ hiesigen Normalbürger im Grunde doch längst überaus gleichgültig. Nicht gleichgültig ist ihm hingegen, was verboten wird und was nicht, ob man auf dem Hof während der Schulpause zusammengeschlagen wird oder nicht, wer wen heiratet bzw. heiraten darf, ob man bei einem Diebstahl demnächst eventuell die Hand abgehackt kriegt und wie die Städte und Dörfer aussehen, ob sie  also von Supermoscheen überragt und von Burkaträgerinnen verunziert werden.

All das sind genuin kulturelle, keine spezifisch religiösen Fragen. Die Menschen beziehen ihre Identität nun einmal nicht in erster Linie aus metaphysischen Lehren, sondern aus harten Realitäten, in die sie hineingeboren werden, aus überkommenen Gewohnheiten und Überzeugungen mittlerer Reichweite, mit einem Wort: aus der Kultur, welche sie mit der Muttermilch aufsaugen. Wir sind durch und durch Kulturtiere, auch unser Glaube ist zunächst einmal mehr Gewohnheit als metaphysisches Kalkül, und bei vielen, vielleicht den meisten, bleibt das das ganze Leben über so.

Hinzu kommt in der gegenwärtigen Lage, daß der ganze, in Mitteleuropa aggressiv angreifende Islam mehr kulturelle Attitüde als Religion im engeren Sinne ist. Seine Theologie ist – speziell im Vergleich zum Christentum – geradezu armselig, das Arsenal seiner religiösen Riten und Rituale einfach und übersichtlich. Sein Eingreifen in die tagtägliche kulturelle Lebenswelt jedoch ist gewaltig, steht völlig einzigartig da im Vergleich zu allen anderen Religionen. Ob Justiz oder Geschlechterrolle, Essen oder Kleiden, Wissenschaft oder Meinungsfreiheit – überall greift er tiefprägend ein und erweist sich als gänzlich inkompatibel.

Insofern wird es nie einen „Euro-Islam“ geben, kann ihn gar nicht geben. Eine auch nur teilweise Säkularisierung des Islam würde diesen, wie sogar der euro-islamische Großideologe Tariq Ramadan  einräumt, total zum Einsturz bringen. Der Islam kann wegen seiner mono-kulturellen Struktur nun einmal nicht, wie das inzwischen voll säkularisierte europäische Christentum, zur reinen Privatsache und Feiertagsbeschäftigung werden, er ist tagtägliche kulturelle Lebenspraxis und von Haus aus unerbittlicher Gebieter über Staat, Familie und Rechtswesen.

Sich solchen Ansprüchen mit aller zivilisierten Energie zu widersetzen, ist kein böser Kulturalismus à la Eriksen und Stjernfelt, sondern schlichte Bürgerpflicht. Mag sein, Tariq Ramadan hat gravierende Argumente gegen den abendländischen Säkularismus, doch das berechtigt ihn und die Seinen noch lange nicht dazu, ihn mit Hilfe auswärtiger, mehr oder weniger kultivierter Gotteskrieger einfach wegzuräumen und durch eine dem modernen Abendländer völlig fremde Kultur zu ersetzen.

Der Säkularismus, sagt Ramadan, setzt das Nichts an die Stelle Gottes, seine technokratischen Hierarchien maßen sich an, Letztentscheidungen ohne jeden Transzendenzbezug und völlig aus eigener eingebildeter Machtvollkommenheit fällen zu dürfen. Das führt, resümiert er, über kurz oder lang zum Tod einer jeden Religion. Tatsächlich mag diese Gefahr bestehen, doch um so mehr, findet Pankraz, sollte man ihr begegnen, indem man die Religion ins Private überführt, wo sie wenigstens überwintern kann, gehegt von Theologen und nachdenklichen Minderheiten.

Natürlich müssen auch diese Heger und Hüter fest in ihrer jeweiligen, von Sprache, Landschaft und Tradition geformten Kultur verwurzelt sein, nur so können sie ihre Arbeit überhaupt leisten. Zu behaupten, es gebe nur eine einzige „Menschheitskultur“ und alles andere sei bloßer Klassenkampf, ist für hungrige Gemüter geradezu lebensgefährlich, denn es taugt nicht einmal für kulturellen Labskaus. Beim Ur-Labskaus verrührte der Koch bekanntlich alle Essensreste der Woche zu einem gerade noch genießbaren Brei. Aber die Reste müssen ja erst einmal dasein, bevor man sie verrühren kann.

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