© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Merkel drohen unangenehme Fragen
Konservatismusdebatte: Inmitten der andauernden Diskussion um das Profil der Partei trifft sich die CDU in Karlsruhe zum Bundesparteitag
Hinrich Rohbohm

Eigentlich müßte dieser Tage im Adenauer-Haus Alarmstimmung herrschen. Die Umfragewerte der Union sind katastrophal und die Mitglieder laufen der Partei scharenweise davon. Dazu eine Parteiführung, die den Kontakt zur Basis weitestgehend verloren hat. Explosive Zutaten, aus denen gewiefte Politköche auf dem am Wochenende stattfindenden CDU-Bundesparteitag in Karlsruhe eigentlich einen Putsch gegen die Parteiführung mixen könnten. Schließlich hat es so etwas schon einmal gegeben.

Vor 21 Jahren hatte der damalige Parteivorsitzende Helmut Kohl seinen linkslastigen Weggefährten Heiner Geißler als Generalsekretär der CDU schalten und walten lassen. Aber Geißler wollte General sein, kein Sekretär. Wie die heutige CDU-Führung hatte er die Union nach links geführt. Das Resultat von einst ähnelt der Gegenwart, ein Wahldesaster folgte dem nächsten. Auf dem Bremer Parteitag 1989 stand die politische Zukunft Kohls schließlich auf des Messers Schneide. Mangel an Mut und Entschlossenheit seiner Kontrahenten sowie eine Kurskorrektur waren es, die Kohl den Vorsitz retteten. Geißler, der die Union bereits damals auf 35 Prozent heruntergewirtschaftet hatte, mußte gehen.

Heute ist wieder von Kurskorrektur die Rede. Die „Aktion Linkstrend stoppen“ nervt damit die Kanzlerin auf nahezu jeder größeren CDU-Veranstaltung. Die Mittelstandsvereinigung (MIT) und deren Vorsitzender Josef Schlarmann ebenfalls. „Das angestrebte Ziel von 40 plus X zur Bundestagswahl 2009 wurde mit tatsächlichen 33,8 Prozent weit verfehlt“, heißt es gleich im ersten Satz eines Antrages der CDU-Vereinigung zum Parteitag, in dem die Mittelständler unter der Überschrift „Kompaß für die CDU“ ein klares Profil der Union einfordern.

Jenes Profil, das die Unionsführung unter Angela Merkel über Jahre hinweg ganz bewußt habe vermissen lassen. „Asymmetrische Wählerdemobilisierung“ sei die Strategie gewesen, die sich hinter dieser Profillosigkeit verborgen habe. Eine Strategie der Wählereinschläferung „mit dem Ziel, die Anhänger des politischen Gegners stärker als die eigenen Wähler vom Gang zur Wahlurne abzuhalten.“ Jedoch führe dies zu Politikverdrossenheit und Demokratiemüdigkeit, sei Zeichen für „Mutlosigkeit“ und „Beliebigkeit“ und als Strategie der „Volkspartei Union“ nicht würdig, kritisiert die MIT, die von Merkel ein klares Profil für die Union  einfordert. Dabei will sie eine nachhaltigere Energiewirtschaft und eine sparsamere Haushaltsführung einfordern.

Änderungen, die jedoch selbst bei Annahme der MIT-Anträge kaum zu einer Abkehr vom Linkskurs der Union führen werden. Das macht bereits der Blick auf die künftige Führungsmannschaft der Christdemokraten deutlich. Bei den anstehenden Bundesvorstandswahlen wird es zu Merkel als Parteivorsitzende keinen Gegenkandidaten geben. 1989 waren es noch Persönlichkeiten wie Ernst Albrecht oder Lothar Späth, die eine Kandidatur gegen den damaligen CDU-Chef Helmut Kohl zumindest in Erwägung gezogen hatten.

Der Blick auf die heutige Führungsebene der CDU zeigt dagegen, daß sich die Union nicht nur inhaltlich, sondern auch personell in einem katastrophalen Zustand befindet. Daß es keine konservativen Aushängeschilder mehr gibt, ist hinlänglich bekannt. Doch auch der wirtschaftsliberale und der christlich-soziale Flügel kann nicht mit Personen aufwarten, die diese Strömungen glaubwürdig vertreten.

So werden mit Annette Schavan, Norbert Röttgen und Ursula von der Leyen drei dezidiert linksliberale Politiker für die Stellvertreter-Posten der Union kandidieren. Ein schärferes Profil ist von ihnen nicht zu erwarten. Während Schavan schon in den vergangenen zwei Jahren einzig damit auffiel, konservativ angehauchten Parteifreunden in den Rücken zu fallen, wird auch Norbert Röttgen kaum für Aufsehen sorgen. Vielmehr dürfte er den ambitionierten Karriereplänen eines Mannes dienen: Norbert Röttgen selbst, der seine Stunde nach der Abwahl des Arbeiterführers Jürgen Rüttgers und dem gewonnenen Duell um den Landesvorsitz in Nordrhein-Westfalen gegen Ex-Integrationsminister Armin Laschet für gekommen hält.

Auch Ursula von der Leyen wird unter Profilschärfung eher ihre mediale Selbst-inszenierung verstehen. Die Tochter von Ernst Albrecht erwies sich zunächst als Familien- und jetzt als Arbeitsministerin vor allem als Erfüllungsgehilfin sozialdemokratischer Politik, wodurch sie wohlwollende Berichterstattung zahlreicher Journalisten erfahren konnte. Von der Leyen soll die Nachfolge von Christian Wulff übernehmen.

Vierter im Bunde der Stellvertreter-Anwärter wird Volker Bouffier sein. Der Koch-Nachfolger soll den konservativen Part der Union vertreten. Dabei versucht er schon jetzt eifrig, seinen Ruf des schwarzen Sheriffs aus hessischen Innenminister-Zeiten abzustreifen (JF 41/10). Gegenkandidaten wird das Quartett voraussichtlich nicht bekommen. Denn der Mut zum Protest gegen den Linkskurs ist unter CDU-Delegierten nicht sonderlich stark ausgeprägt. Merkel dürfte es freuen. Ob die Kanzlerin jedoch noch einmal wie vor zwei Jahren in Stuttgart mit einer Traumquote von 94,83 Prozent wiedergewählt wird, darf trotzdem  bezweifelt werden.

Foto: In der CDU ist einiges in Bewegung gekommen: Die Kritik an der Beliebigkeit und Mutlosigkeit wird lauter

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