© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  46/10 12. November 2010

Reiseerlebnis
Demokratie in Amerika
Herbert Ammon

Amerika hat gewählt. Nachdem Präsident Barack Obamas Charisma verblaßt ist, die Wirtschaft trotz Geldflut aus der „Fed“ nicht in Gang gekommen, viele Jungen und Frauen politisch wieder abstinent sind, fielen die Zwischenwahlen aus wie erwartet: Die Demokraten erlitten eine Schlappe, aber nicht so gewaltig, wie von den Republikanern erhofft.

Einen Vorgeschmack  bekam ich auf einer  Reise ins Mutterland der Demokratie. Im Flugzeug nach Atlanta saß neben mir ein Herr unter fünfzig. Er arbeite für Obama, komme aus Berlin, wo er in der Freien Universität vor aufgeschlossenen Professoren und Beamten über Obamas Bildungsprogramm gesprochen habe. Der Mann, vermutlich puertoricanischer Herkunft, geboren in Boston, kurz als Rechtsanwalt tätig, dann in der Politik, schätzte die Chancen seiner Partei nüchtern ein. Er äußerte sich auch überraschend vorurteilsfrei über Sarah Palin.

Bei meiner ersten Station in Milwaukee entschlüsselt sich das Kürzel der Tea-Party: „Taxed Enough Already“. Am Ende der Reise besuche ich einen Freund in Philadelphia. Als einer von sechs Schwarzen unter 400 Weißen wohnt er in einem Seniorenheim mit vorzüglichen Menüs und erlesenen Weinen.

Im Konferenzraum versammeln sich Damen und Herren, teilweise mit Rollator und Sauerstoffklemmen, emeritierte Ivy-League-Professoren,  Pastoren, Geschäftsleute. Eine jugendlich ergraute Dame von der „League of Women Voters“ unterweist sie in der Technik des richtigen Wählens, auf Stimmzetteln, an Wahlmaschinen. Dezidiert unparteilich. Es gehe allenfalls um „issues“ wie die erweiterte Nichtdiskriminierung aufgrund von Herkunft, sexueller Orientierung, sexueller Identität. Klar, die Dame wirbt für die  Demokraten.

Alexis de Tocqueville, der 1831 das amerikanische Gefängniswesen studierte, hätte das Erlebnis in seinem Werk „De la démocratie en Amérique“ verwerten können. Das zivilreligiöse Geheimnis der Demokratie liegt in der rechten Mischung von Bürgersinn und Konformismus. Am 2. November 2010 dürften im Altersheim nur wenig Stimmen für die „rechten“ Republikaner gekommen sein. Eine wird von dem deutschsprachigen lutherischen Ex-Pastor mit einem „Master´s degree in Alcohol Studies“ von Berkeley stammen.

 

Herbert Ammon lebt als Historiker und Publizist in Berlin.

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