© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Rumpeljournalismus
Internet: Redaktionen achten viel zu selten auf Leser-Kommentare
Patrick Schmidt

Manchmal jagt eine Panne die nächste: Als der chilenische Präsident Sebastián Piñera „Deutschland über alles“ ins Gästebuch des Bundespräsidenten geschrieben hatte, war die Empörung der Zeitgeistmedien groß.

Manch einer nahm es bei der Kritik an dem lateinamerikanischen Staatsoberhaupt mit den Fakten nicht ganz so genau: Eine Spiegel-online-Autorin bezeichnete die erste Strophe des Deutschlandliedes in ihrem Artikel als „Nazi-Hymne“.

Das ging selbst den Lesern von Spiegel online zu weit. Im Kommentarbereich beschwerten sie sich lautstark: „Rumpeljournalismus“ sei das, schimpfte „Larnaveux“, „im Stile einer schlechten Boulevardpresse“. Und Leser „c++“ riet dem Spiegel, „den Artikel schnell verschwinden zu lassen und das Personal zu qualifizieren“. Nach einer Reihe von weiteren kritischen Kommentaren wurde der Beitrag geändert, der Begriff „Nazi-Hymne“ entfernt.

Nur selten nehmen Seitenbetreiber Leserkritik zum Anlaß, Fehler oder wertende Darstellungen zu korrigieren. Oft wird dort, wo etwas kommentiert oder bewertet werden kann, versucht, Unliebsames zu löschen oder erst gar nicht zuzulassen. So gibt es mittlerweile sogar eine Software, die mit Hilfe von Logarithmen aus der künstlichen Intelligenz Sarkasmus oder Beleidigendes herausfiltern kann.

Doch meistens wird einfach ignoriert, was die Leser schreiben. So beschwerten sich in der vergangenen Woche viele Leser von Welt online über einen Artikel zu den angeblich gewaltigen Lohnunterschieden zwischen Frauen und Männern. „Eine Falschmeldung wird durch autistisches Wiederholen nicht wahrer“, merkte ein Leser an, während ein anderer den Artikel als „Lachnummer“ abtat. „Peinlich“ sei das „für ein Qualitätsmedium wie die Welt“, fand ein dritter. Geändert wurde dennoch nichts an dem Bericht, die Kritik verhallte in den Weiten des Internets.

Dabei hätte es durchaus noch schlimmer kommen können: Meistens reagiert die Redaktion von Welt online einfach mit dem Abschalten der Kommentarfunktion.

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