© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Unter fremder Kontrolle
Heute die Chinesen, morgen wir: Volkszählungen sind nicht beliebt
Richard Stoltz

In China hat die neueste Volkszählung begonnen, und die damit beauftragten Beamten sind in größten Nöten. Soviel Widerstand im Volk gegen sein Gezähltwerden hat es bisher noch nie gegeben, berichten sie. Familienvorstände fälschen angeblich die ausgegebenen Fragebögen am laufenden Band, ohne daß das nachgeprüft werden könnte. Und die Millionen im Zuge des Wirtschaftsbooms im Lande herumvagabundierenden Wanderarbeiter nehmen die Fragebögen gar nicht erst entgegen. Es herrscht Chaos statt Ordnung.

Das Volk läßt sich nun einmal nicht gern zählen, so war es immer schon und in allen Weltgegenden. In der Bibel lesen wir, wie König David (genauer: sein Volk) wegen einer Volkszählung von Jahwe höchstpersönlich mit Pestilenz und Hungersnot bestraft wurde. Oder man erinnere sich an die für 1981 anberaumte Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland. Der öffentliche Widerstand dagegen überstieg damals an Heftigkeit noch den heutigen Widerstand gegen „Stuttgart 21“ und verhinderte das Projekt um volle sechs Jahre.

Dabei sind Volkszählungen ja eine absolute Notwendigkeit für gut funktionierende Gemeinwesen. Aber sie fordern von den Bürgern eben auch viel loyale, aufwendige Mitarbeit und die Bereitschaft, die Karten offenzulegen. Es geht nicht nur ums pure Köpfezählen, gefragt sind genaue Angaben über Vor- und Zunamen, Alter und Geschlecht, Fami­lienstand, Beruf und Religionszugehörigkeit, Wohnort, Geburtsort, Herkunft und Staatsangehörigkeit. Man liefert sich also aus, gerät unter fremde Kontrolle. Vielen gefällt das nicht, aus ganz verschiedenen Gründen.

Nächstes Jahr soll es auch bei uns wieder soweit sein, europaweit. Ein zwischen allen EU-Staaten abgestimmter „Euro-Zensus“ soll über die Bühne gehen, mit Fragebögen, die mindestens so ausführlich sind wie die jetzt in China. Nun, vielleicht läßt sich den zu erwartenden Protesten mit Humor begegnen, wie letztlich auch in den achtziger Jahren. „Boykottiert und sabotiert die Volkszählung“ brüllte damals ein Dauerplakat im Dortmunder Fußballstadion und widersetzte sich allen Löschversuchen – woraufhin mit Zustimmung des seinerzeitigen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker für das Fernsehpublikum ein „Der Bundespräsident:“ davor-  und ein „nicht!“ dahintergesetzt wurden.

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