© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Pankraz,
Karen Palmer und die Hexen von Ghana

Alle guten Menschen hierzulande regen sich über die armen Frauen im Islam auf, die Burka tragen müssen und zwangsverheiratet werden. Aber niemand sagt etwas über die ausgedehnten „Hexen-KZs“ in Westafrika, wo Tausende von Frauen ohne Prozeß gefangengehalten werden, einzig weil sie angeblich der „Schwarzen Magie“ frönen und deshalb eine Gefahr für Staat und Gesellschaft sind.

Soeben ist von der Kanadierin Karen Palmer ein Buch erschienen, das den Skandal endlich einmal beim Namen nennt:  „Spellbound. Inside West Africa’s Witch Camps“ (Verlag Simon & Schuster, New York 2010). Es ist ein Bericht aus dem Lager Gambaga in Ghana, wo allein über 3.000 „Hexen“ (Witches) festgehalten werden. Palmer hatte viel Mühe, dort Zutritt zu erhalten und wurde bei ihren Recherchen stets von Übersetzern, Aufsehern und anderen Offiziellen begleitet. Trotzdem ist ein wahrhaft erschütterndes und sehr aufschlußreiches Buch zustande gekommen.

Man liest, daß in Ghana ältere Frauen offenbar nichts weiter als soziales Freiwild sind. Wenn sie keinen einflußreichen männlichen Beschützer haben, werden sie von der Dorf- und Stammesgemeinschaft bei jeder sich bietenden Gelegenheit automatisch für alle möglichen Unglücke und Beschwerlichkeiten verantwortlich gemacht und aus der Gemeinschaft ausgestoßen. Ob irgendwo die Cholera ausbricht oder die Ernte von den Heuschrecken gefressen wird – immer sind die ungeschützten älteren Frauen daran schuld, besonders wenn sie „ruppig und überheblich“ sind. Man stößt sie aus, und der Staat sammelt sie dann ein und bringt sie ins Hexen-KZ.

Was dort mit ihnen geschieht, kümmert faktisch keinen mehr. Man läßt sie hungern oder verrotten oder für die Lagerverwaltung Hausarbeiten verrichten, je nach aktueller Bedürfnislage. Keine von ihnen weiß, ob sie je wieder herauskommt, sie ist erfolgreich „spellbound“, das heißt festgebannt, und keine Schwarze Magie kommt dagegen an. Auch die Verwalter glauben eventuell noch an die Zauberkraft ihrer „Klienten“, sie glauben aber vor allem, wie Palmer zeigt, daß das KZ genau das richtige Mittel ist, diese Zauberkraft zu neutralisieren und Platz für moderne Verhältnisse im Lande zu schaffen.

Immerhin, verbrannt wie einst die Hexen in der frühen europäischen Neuzeit werden die Hexen von Ghana nicht, das ist ein Fortschritt. Auch die europäischen (und nordamerikanischen) Hexenverbrennungen dienten ja ausdrücklich der Durchsetzung moderner, „wissenschaftlicher“ Standards. Sie fanden nicht im finsteren Mittelalter statt, sondern waren Produkt des anbrechenden Rationalismus und des säkularisierten Etatismus nach 1500.

Von den Leuchten der neuen empirisch-rationalistischen Wissenschaft hatte faktisch niemand etwas gegen Hexenverbrennungen, weder Francis Bacon noch Kepler noch Galilei, von Luther, Hobbes, Machiavelli, Calvin zu schweigen. Descartes, Spinoza, Leibniz mißbilligten die Exzesse wohl, wie wir aus manchen Details vermuten können, aber sie schwiegen, überließen den Protest einigen mutigen Beichtvätern und Predigern wie Friedrich von Spee oder Balthasar Bekker. Bis weit in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein sind Hexen verbrannt worden. Lessing und Goethe waren noch Zeitgenossen von Hexenverbrennungen.

Hexenprozesse waren kein Volksvergnügen, sondern richteten sich eindeutig gegen das Volk und seinen angestammten Dämonen- und Magieglauben. Es war keineswegs weit her mit Hexenanzeigen aus dem „Volk“, dergestalt also, daß ängstliche oder neidische Weiber aus einem Dorf von sich aus Hexen bei der Obrigkeit kundig machten. Englands König Jakob I. (ein eifriger Rationalist und Wissenschaftsverehrer) mußte hohe Geldprämien für die Aufspürung von Hexen ausschreiben, damit sich überhaupt jemand bei den Behörden meldete.

Die europäischen Hexenverfolgungen waren ein großangelegter Versuch, den Volksglauben, den  „Aberglauben“, ein für allemal und für immer zu erledigen, um den neuen Paradigmen der Mathematik und Physik flächendeckend und noch im letzten Dörflergemüt Geltung zu verschaffen. Zwischen den grimmigen Attacken Francis Bacons gegen die alten, „dumpfen“, auf ungeprüfter Überlieferung beruhenden Wissens-Methoden im „Neuen Organon“ und dem „Hexenhammer“ der Herren Institoris und Sprenger besteht ein direkter Zusammenhang.

 Deshalb ging es ja in erster Linie auch gegen die Frauen. Sie waren diejenigen, die die alten magischen Praktiken am innigsten hüteten, all die Kräuterweiblein und unverheirateten Tanten, die sich als gute oder „böse“ Feen um die Wiege eines Neugeborenen versammelten, um ihm Wünsche mit auf den Weg zu geben. Dem wollte man endgültig einen Riegel vorschieben. Das neue Zeitalter des Rationalismus und der Wissenschaft war zunächst einmal und für lange Zeit eine exklusiv männliche Angelegenheit.

Ob das heute in Afrika wirklich anders ist? Einige Passagen in dem Buch von Karen Palmer klingen so, als sei die Vertreibung der „Hexen“ aus der Dorfgemeinschaft allein die Folge eines überholten magischen Denkens, als sei also primär das „unaufgeklärte“ Volk der Feind alleinstehender älterer Frauen. Andererseits bringt sie auch Beispiele, wo zugezogene, prononciert modern gesinnte Kleinhändler und sonstige Geschäftemacher „aus Neid“ gegen dominierende Frauen intrigieren und dafür sorgen, daß sie ins Lager gebracht werden.

Aber wie dem auch sei, weder Hexenverbrennungen noch Hexen-KZs sind rechtfertigbare Mittel, um die Moderne durchzusetzen, erscheine diese nun als Wissenschaft oder als skrupellose Geschäftemacherei. Der Staat Ghana sollte Lager wie Gambaga umgehend  schließen und dem Beispiel Friedrichs des Großen von Preußen folgen, welcher bei seinem Regierungsantritt im Jahre 1740 extra eine Order herausgab, daß unter seiner Herrschaft nunmehr die alten Frauen unbesorgt leben und anständig zu Hause in ihrem Bett sterben dürften.

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