© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Grüße aus Jerusalem
Straßenbahn-Debakel
Ivan Denes

Während die internationale Öffentlichkeit gespannt die ins Stocken geratenen „Friedensverhandlungen“ zwischen Israelis und Palästinensern verfolgt, kümmern sich die Einwohner Jerusalems vorrangig um die Streitereien aufgrund des arg in Verzug geratenen Baus der ersten Straßenbahn. Das Vorhaben – eine vierzehn Kilometer lange Strecke – zwischen dem Herzl-Berg, dem arabischen Viertel Shuafat, der Stadtmitte bis nach Pisgat Ze‘ev im Nordosten der Heiligen Stadt – wurde im Jahr  2000 in Angriff genommen und hätte 2007 den Betrieb aufnehmen sollen. Nun ist vom 11. April 2011 die Rede.

Der amtierende Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, nannte bei seinem Amtsantritt im November 2008 das Vorhaben „größenwahnsinnig“, konnte es aber nicht mehr stoppen. Schon damals wurden nämlich die veranschlagten Kosten von 500 Millionen Schekel (100 Millonen Euro) um 160 Prozent überschritten, bis auf 1,3 Milliarden Schekel.

Allein die vor wenigen Tagen eingeweihte, 120 Meter hohe und 360 Meter lange, sehr schöne Hängebrücke, gebaut nach den Plänen des international bekannten Architekten Santiago Calatrava, schlug mit 300 Millionen Schekel zu Buche. Kritiker des Vorhabens behaupten nun, Hängebrücken würden normalerweise über Flüsse oder Täler gebaut, nicht aber als Straßenüberführung.

Blauäugigkeit gepaart mit Unfähigkeit und Unkenntnis behinderten das Prestigeprojekt

Überhaupt wurde der Straßenbahnbau überstürzt in Angriff genommen. Gepaart mit mangelnder Erfahrung blieben Fragen, wie sich der Bau auf die gesamte Infrastruktur – Straßen, Kanalisation, Stromleitungen – entlang der Trasse auswirken werde, offen. Dies führte zu unzähligen Gerichtsverfahren, wie etwa die der Geschäftsleute in der Jaffa Street, einer der bekanntesten Einkaufsstraßen der Stadt. Auch auf dem Herzl-Berg war die Trassenführung fehlerhaft und mußte nach ihrer Fertigstellung aufgerissen und neu geplant werden. Ein bürokratischer Riesenapparat trat in Aktion. Es heißt, auf jeden Arbeiter kämen fünf Verwaltungspersonen.

 Andererseits ist die Jerusalemer Straßenbahn das größte Bauvorhaben in der Heiligen Stadt „seit Herodes Zeiten“, wie israelische Journalisten feststellten. Sie soll die von PKWs verstopften Straßen entlasten, obwohl mit dieser einen Linie (ob weitere gebaut werden, steht in den Sternen) nicht viel erreicht werden wird. Ein Ende der sich ständig erneuernden Debatten um das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist also nicht in Sicht.

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