© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

Nichts ist unmöglich
Kampagnen: Wer in der politischen Auseinandersetzung die Ö­ entlichkeit überzeugen will, braucht eine klare Strategie
Peter Freitag

Kampagnen sind ein alltägliches Phänomen in einem Land, das sich gerne als „Informationsgesellschaft“ apostrophiert. Oft verlaufen sie nahezu unbemerkt und geräuschlos als Werbe- oder Wahlkampagnen, andere wiederum dominieren die Berichterstattung über Wochen und Monate, so daß sich kaum jemand ihnen entziehen kann – wie aktuell im Fall von „Stuttgart 21“ oder den Castor-Transporten.

Gerade diese beiden Beispiele untermauern die Herkunft des Begriffs Kampagne (vom spätlateinischen campania, zu deutsch „flaches Land“) aus dem militärischen Sprachgebrauch und seine Verwandtschaft mit dem Wort Kampf. Kampagne bedeutete zunächst die Zeit, die ein Heer „im Feld“ stand, war ein anderes Wort für Feldzug.

Heutzutage werden Kampagnen in einem Standardwerk zur politischen Kommunikation in der Demokratie als „dramaturgisch angelegte, thematisch begrenzte, zeitlich befristete kommunikative Strategien zur Erzeugung öffentlicher Aufmerksamkeit“ definiert.

Die einen versprechen sich von Kampagnen grundsätzlich mehr Bürgernähe und damit ein notwendiges Gegengewicht zu denen, die an den Schalthebeln der Politik sitzen. Hier kann sich der Unmut der Basis, der unmittelbar Betroffenen, des „einfachen“ Volkes artikulieren und Bahn brechen. Kritiker halten dem entgegen, daß sich in Kampagnen eher nur die Lautesten und nicht unbedingt die tatsächliche Mehrheit Gehör verschaffen. Zudem verweisen sie auf die Ignoranz vieler Kampagnen-Initiatoren gegenüber den demokratisch legitimierten oder juristischen Instanzen. Darüber hinaus kann man darauf verweisen, daß sich vor allem Medienkampagnen hierzulande häufig nicht gegen „die Mächtigen“ richten, sondern gegen einzelne Personen, die gerade nicht die Möglichkeit haben, sich auf Augenhöhe zu wehren.

Ungeachtet einzelner Werturteile und trotz aller Unterschiede in ihren Inhalten und bei den Trägern weisen (erfolgreiche) Kampagnen einige wesentliche grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf. Ziel einer Kampagne ist die Veränderung; wer eine Kampagne betreibt, will – meistens ohne daß er formelle Macht hat – das von ihm gewünschte Ergebnis erreichen, indem er das Verhalten der Zielgruppe beeinflußt.

Für eine Kampagne benötigt man auf jeden Fall:

ein klar definiertes, glaubwürdiges Ziel

eine bewußt ausgewählte Zielgruppe

eine darauf abgestimmte, klare Strategie

eine solide Organisation

hochmotivierte Träger

eine gut funktionierende Kommunikation sowohl nach innen als auch nach außen.

Neben diesen Voraussetzungen gibt es noch weitere Grundsätze, die wesentlich zum Erfolg einer Kampagne beitragen. Am Anfang steht eine Lageanalyse: Bevor eine Kampagne ins Leben gerufen wird, muß man sich vergewissern, wie es um die Erfolgschancen beziehungsweise das Risiko zu scheitern steht. Worin besteht das genaue Ziel, wer ist die Zielgruppe? Kommt man diesem Ziel wirklich mit einer Kampagne näher?

Das Aida-Prinzip als Erfolgsgeheimnis 

Wie steht es um das eigene Image? Eilt einem – nach früheren Mißerfolgen – schon ein Verlierer-Ruf voraus? Wie steht es um die Kompetenz in den eigenen Reihen, wie sieht es mit der Glaubwürdigkeit aus? Stehen die eigenen Leute geschlossen hinter dem Ziel, sind sie ausreichend motiviert? Welche finanziellen Mittel stehen zur Verfügung, wie lange soll die Kampagne gehen und wann kann sie beendet werden? Bei der Zielgruppenorientierung kommt es darauf an, die geplante Kampagne an den Bedürfnissen, am Selbstverständnis und am Kommunikationsstil der Zielgruppe auszurichten. Des weiteren sind die Rahmenbedingungen zu bedenken: Wer sind potentielle Verbündete, wo sitzen Ansprechpartner in den Medien, wie reagiert möglicherweise die Öffentlichkeit?  Zudem: Welche Interessen verfolgt der Kampagnen-Gegner? Wieviel Einfluß hat er?

Im englisch dominierten Jargon der Fachleute für „Campaigning“ spricht man vom sogenannten Aida-Prinzip (attention, interest, desire, action): Aus der Aufmerksamkeit für etwas folgt das Interesse daran, der Wille, daran etwas zu ändern und schließlich die Handlung. Erfolgreiche Kampagnen zeichnen sich zudem dadurch aus, daß sie eine klare, einfache Botschaft beinhalten. Man spricht dabei vom „Kiss-Prinzip“: Keep it simple and stupid, zu deutsch: „Halte die Botschaft einfach und einfältig!“

Unverzichtbar sind in einer Kampagne die Multiplikatoren, die das Anliegen weitertragen. Hierbei handelt es sich in erster Linie um Medien – und da liegt meistens das Problem, wenn konservative Inhalte oder Ziele in einer Kampagne transportiert werden sollen. Wer über keine Verbündeten in den Redaktionen verfügt, dessen Anliegen „findet nicht statt“, der scheitert an den „journalistischen Türhütern“, so der ehemalige baden-württembergische Regierungssprecher Manfred Zach („Die manipulierte Öffentlichkeit“). Doch hat in jüngster Zeit gerade die Debatte um Thilo Sarrazin gezeigt, daß die Abschottung der veröffentlichten gegen die öffentliche Meinung an ihre Grenzen stößt. Hervorzuheben ist die Funktion des Internets, das nicht nur der Vernetzung Gleichgesinnter dient, sondern mit dem sich – etwa über Online-Kommentare in den Medienportalen – der Widerspruch der Konsumenten einen Weg in die Öffentlichkeit bahnen kann (siehe Seite 17). Von einer „Waffengleichheit“ ist freilich noch nicht zu sprechen, und so wird sich auch weiterhin das Anliegen von Gegnern der Atomkraft leichter multiplizieren lassen als das von denen eines Moscheebaus. Der Vorsprung der Linken beim „Campaigning“ läßt sich nicht zuletzt beim Netzwerk „Campact“ ablesen (siehe Seite 12).

Eine Kampagne will beeinflussen, wobei die Bedeutung der Sprache kaum zu überschätzen ist. Die Chancen für eine Zustimmung hängt insbesondere davon ab, mit welchen Begriffen das Anliegen transportiert wird und wer Begriffe „besetzt“, sich also in der „Bezeichnungs-“ oder „Bedeutungskonkurrenz“ durchsetzt. Man spricht deshalb in diesem Zusammenhang von politischer Semantik. Ein Paradebeispiel dafür findet man in der Kampagne gegen den Nato-Doppelbeschluß Anfang der achtziger Jahre in der Bundesrepublik. Den Gegnern der Nachrüstung war es zusehends gelungen, in der Öffentlichkeit ihre Sichtweise durchzusetzen, indem sie den Begriff „Frieden“ – ein sogenanntes „Hochwertwort“ – für die eigene Bewegung quasi monopolisierten und damit den Befürwortern der Nachrüstung unterstellten, sie wollten den Krieg oder nähmen ihn zumindest billigend in Kauf.

Die Bedeutung solcher Kampagnen-Grundsätze läßt sich vor allem anhand von Mißerfolgen belegen. 1994 stellte der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze die sogenannte „Rote-Socken-Kampagne“ vor. Sie hatte eine kurze, leicht verständliche und wiedererkennbare bildliche Botschaft. Ihr Ziel war es, die Regierungsbeteiligung der PDS (heute Linkspartei) in einer Koalition mit der SPD auf Landesebene zu verhindern. Dieses Ziel wurde klar verfehlt. Die Kampagne war schon während des Wahlkampfes gescheitert, weil es an innerer Geschlossenheit fehlte. Nicht die gesamte CDU zog an einem Strang, sowohl der linke Parteiflügel als auch die mitteldeutschen Landesverbände maulten oder weigerten sich, die entsprechenden Plakate zu verwenden. Vor allem reagierte die PDS souverän und deutete die Kampagne in ihrem Sinne positiv um; mit dieser möglichen Reaktion wiederum hatte im Adenauer-Haus offensichtlich niemand gerechnet.

Die Union zeigt, wie es nicht geht

Ähnlich erfolglos, weil undurchdacht, verlief die sogenannte Leitkultur-Debatte im Jahr 2000. Der Begriff der „deutschen Leitkultur“ war vom damaligen Vorsitzenden der Unions-Bundestagsfraktion Friedrich Merz verwendet und vom politischen Gegner sofort als „Spiel mit dem Feuer“ gebrandmarkt worden. Die Union ließ mit widersprüchlichen Reaktionen darauf durchblicken, daß sie keine Strategie entwickelt hatte; darüber hinaus tauchten in der Folgezeit die unterschiedlichsten Definitionen auf: Für die einen beinhaltete Leitkultur eigentlich nur Gesetzestreue und Kenntnis der deutschen Sprache, für andere umfaßte er zudem Sitten und Gebräuche. Resümierend kann man feststellen, daß die CDU weder ein klar definiertes Ziel vorweisen konnte, noch eine darauf abgestimmte Strategie – und folglich in der Kampagne eine Bauchlandung hinlegte.

Ähnlichkeit mit den „Gesetzen“ einer Kampagne weist auch das Phänomen der Bürgerinitiative auf. Der Politikwissenschaftler Horst Pötzsch unterteilt deren Etablierung in sieben Phasen:

Phase 1

Bürger empfinden bestehende Verhältnisse als mißlich oder wollen die Verwirklichung öffentlicher Planungen verhindern.

Phase 2

Bürger betreiben Öffentlichkeitsarbeit: Flugblätter, Zeitungsanzeigen, Artikel in der Lokalzeitung.

Phase 3

Briefe der Bürger an Verwaltung, Gemeinderat, Fraktionen und Parteien bleiben ohne Erfolg.

Phase 4

Gründung einer Bürgerinitiative: Schaffung eines organisatorischen Rahmens; Öffentlichkeitsarbeit, Gewinnung von Mitstreitern, Einschaltung von Experten.

Phase 5

Parteien schalten sich ein: Es folgen Presseerklärungen und Anfragen an die Verwaltung.

Phase 6

Verwaltung und Mehrheitsfrak-tion(en) suchen nach Kompromißmöglichkeiten.

Phase 7

Mögliche Kompromißlösungen werden geprüft: Die Bürgerinitiative entscheidet, ob sie sich mit einer angebotenen Lösung zufriedengeben und auflösen oder eine neue Aktion einleiten will.

Die Initiative „Wir wollen lernen“ zum Beispiel, die im Sommer in Hamburg einen Volksentscheid durchgesetzt und gewonnen hat, weist drei Charakteristika einer Bürgerinitiative auf, die maßgeblich deren Kampagnenfähigkeit ausmachen:

die Konzentration auf ein klar definiertes, begrenztes Ziel („One-purpose Organiszations“),

die Fähigkeit, in relativ kurzer Zeit möglichst viele (motivierte) Anhänger zu mobilisieren,

die Rekrutierung aus der bürgerlichen Mittelschicht mit höherem Bildungsniveau.

Diese Bürgerinitiative ist zudem ein guter Beleg dafür, daß unter günstigen Voraussetzungen auch ein politisch eher konservatives Anliegen – der Erhalt des traditionellen gegliederten Schulwesens – auf dem Weg einer gut geplanten Kampagne in Deutschland Erfolg haben kann.

 

Mit dem Internet zum Erfolg

Das Internet spielt für den Erfolg einer Kampagne eine immer größere Rolle. Spätestens die erfolgreiche Internetkampagne von Barack Obama im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2008 hat die Möglichkeiten des Netzes aufgezeigt.

Über den Kurznachrichtendienst Twitter oder soziale Netzwerke wie Facebook lassen sich mit geringem Aufwand Informationen und politische Standpunkte breit streuen. Auch in Deutschland nutzen Protestbewegungen wie die gegen das Bahnhofs-

projekt „Stuttgart 21“ oder gegen die Castor-Transporte diese Möglichkeiten. Aber auch auf konservativer Seite haben Initiativen wie die „Aktion Linkstrend stoppen“ die sozialen Netzwerke entdeckt, um ihre Anhänger zu informieren und zu mobilisieren.  Über Videoportale wie youtube oder myspace lassen sich zudem relativ mühelos sogar eigene Fernsehsendungen produzieren, um die Öffentlichkeit im Sinne der Kampagnen zu beeinflussen.

 www.facebook.de , www.twitter.com , www.youtube.de , www.myspace.de

Foto: Politische Überzeugungsarbeit an der Basis: In Zeiten des Internets hat das gute alte Megaphon ausgedient

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