© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  45/10 05. November 2010

So sehen Sieger aus
Politischer Protest: Wollen Konservative aus der Defensive kommen, müssen sie von der Linken lernen
Kurt Zach

Sie sind gut! Toll! – Und wer weiß davon?“ Der Marketing-Spruch eines Werbeflächen-Anbieters gilt auch für die Politik: Es reicht nicht, gute Ideen und vernünftige Ziele zu haben, man muß sie auch an den Mann bringen können. Unter den Bedingungen der Mediendemokratie und neuer digitaler Kommunikationsformen ist die Fähigkeit, moderne und zielgenaue Kampagnen zu führen, eine unerläßliche Vorbedingung für politische Durchsetzungsfähigkeit.

Auf der Linken weiß man das schon lange. Die Grünen konnten sich in den achtziger Jahren dank ihrer gründlichen Vernetzung im vorpolitischen Raum und durch das permanente Mobilisierungspotential von Friedensbewegung, Öko-Aktivisten und Atomkraftgegnern trotz erheblicher Widerstände aus dem Altparteienkartell als neue politische Kraft im Parteiensystem dauerhaft etablieren.

Mit ihren Protestinszenierungen rund um das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ exerzieren die Grünen gerade wieder einmal lehrbuchmäßig vor, wie man durch geschickte Vernetzung und Mobilisierung latente Stimmungen in politischen Einfluß ummünzt. Bisweilen wirkt das wie ein Déjà-vu aus den latzbehosten Gründerjahren. Wer sich in den letzten Wochen unter die Dauerprotestierer im Stuttgarter Schloßpark mischte, konnte schon mal mitbekommen, wie graubärtige Protestveteranen von „Wackersdorf“ schwärmen, so wie ihre eigenen Väter oder Großväter sich gegenseitig Fronterlebnisse erzählt haben mögen.

Darüber mag man lächeln. Man kann es auch albern finden, wenn berufsmäßige Öko-Aktivisten sich unermüdlich in zu fällende Bäume und an Fabrikschlote hängen oder mit Schlauchbooten vor Walfängern herumschippern, um für die Mainstream-Medien unwiderstehliche Schlagzeilen und Bilder zu produzieren: Fakt ist, sie erreichen damit massenmediale Aufmerksamkeit in der täglichen Informationsflut, sie besetzen Begriffe und positive Emotionen und bereiten so den Boden für das politische Wirksamwerden ihrer Ziele.

Unter Konservativen ist die Einsicht in diese Spielregeln dagegen nicht weit verbreitet. So sie theoretisch vorhanden ist, mündet sie selten in praktische Konsequenzen. Sich im selbstgefälligen Ausfeilen des eigenen Programmgebäudes zu verlieren und über eigenen Befindlichkeiten die möglichen Adressaten zu vergessen, ist der Standard-Kommunikationsfehler im freiheitlich-konservativen politischen Spektrum.

Wer die „schweigende Mehrheit“ hinter sich glaubt, muß allerdings wissen, daß das wesentliche Merkmal dieser Mehrheit ihr Schweigen ist. Um sie aus dieser Lethargie zu reißen, bedarf es klarer Botschaften, die den Nerv treffen und so verpackt werden, daß sie nicht im täglichen Informationsrauschen untergehen.

Natürlich ist es einfacher, gegen „Stuttgart 21“ zu mobilisieren, als die Leute zum Aufbegehren gegen Islamisierung, Abtreibung, Steuerraub oder Identitätsverlust zu bewegen. Wer ökologisch oder politisch korrekt gewandet daherkommt, braucht sich um hilfreiche Verbündete in den Medien und in den gut ausstaffierten vorpolitischen Räumen selten zu sorgen. Selbst der organisierte Rechtsbruch kann da auf gütige Nachsicht rechnen, wie der mediale Umgang mit „Castor-Schotterern“ und Anti-Globalisierungs-Krawallmachern ein ums andere Mal belegt.

Das kann aber kein Vorwand für Resignation und Untätigkeit sein. Denn das nicht-linke Wut- und Mobilisierungspotential ist beträchtlich. In Internetforen, Blogs und Leserbriefspalten ist es beinahe täglich mit Händen zu greifen. Aber es ist ein vielhunderttausendfaches Allein-vor-sich-hin-Schimpfen in der virtuellen Vereinzelung. Alle kaufen Sarrazins Buch und klicken in Internet-Umfragen auf Zustimmung, aber keiner geht auf die Barrikaden gegen die Zustände, die darin angeprangert werden.

Freilich: Bürgerliche Menschen sind schwer zur öffentlichen Aktion zu bewegen. Da spielen Aversionen gegen das Handeln in der Masse eine Rolle, aber auch Abwehrreflexe gegen eine pragmatische Vernetzung selbst unter Zurückstellung individueller Befindlichkeiten, nicht zuletzt ein Festhalten an Autoritäten- und Institutionengläubigkeit selbst dann noch, wenn deren Sinn und Zweck längst ins Gegenteil verkehrt wurde.

Das hat es der politischen Linken leicht gemacht, ihre Diskurshoheit zu errichten und lange über das Verfallsdatum hinaus zu konservieren. Antifaschismus, Multikulturalismus und all die anderen Ismen sind durch den Zusammenprall mit der Realität längst löchrig und windschief geworden, dennoch unternimmt es kaum jemand, einmal kräftig gegen die wacklige Sperrholzkulisse zu treten. Das Versagen des Umverteilungsstaates und seiner Sozial- und Integrationsindustrie ist offenkundig, dennoch läßt der Aufstand der Mittelschichts-Steuersklaven gegen ihre fortdauernde Ausplünderung auf sich warten.

Die tiefsitzende Vertrauenskrise des Parteienstaats wird die Bedeutung von Kampagnen und Massenmobilisierung für die politische Entscheidungsfindung gegenüber den Mechanismen der repräsentativen Demokratie weiter zunehmen lassen. Einfache Botschaft, vielfältige und immer neue Ausdrucksformen, lautet das Rezept. Man mag das, mit guten Gründen, bedauern. Doch wer sich nicht darauf einstellt, bleibt ungehört.

Das Beispiel Hamburg, wo die schwarz-grüne Schulreform per Volksentscheid gekippt wurde, macht Lust auf mehr. An freiheitlich-konservativen Kampagnenthemen mangelt es jedenfalls nicht. Steuerstreik gegen staatliche Geldverschwendung? Gedenkstiftung für den von „südländischen“ Deutschenhassern erdolchten Familienvater? Kopftuch- oder Minarettverbot? Die Antwort muß vom feinen Gespür für die Stimmung im Volk abhängen und nicht von eigenen ideologischen Präferenzen. Wer wagt’s?

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