© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Druck auf die Ökosysteme
Im japanischen Nagoya tagt die 10. Artenschutzkonferenz / Sachzwänge stärker als der Handlungswille
Volker Kempf

Man beweise uns die Notwendigkeit, daß die Menschheit mit Milliarden schlechter Zeitungen, Schmähschriften, Schauerromanen überschwemmt werde; und wenn man es nicht kann, so ist die Rodung der Urwälder nackter Frevel.“ Dieser Auffassung war Ludwig Klages vor beinahe 100 Jahren in seiner Rede „Mensch und Erde“, in der er die „Fürsorge für das Leben“ ausrief.

Der Historiker Walter Laqueur wischte diese 1913 auf dem Hohen Meißner gehaltene Rede in den fortschrittsoptimistischen frühen sechziger Jahren als „achtzehn Seiten mit wilden Verwünschungen“ zur Seite. Doch die Zeiten änderten sich. Der Zoologe und Tierfilmer Bernhard Grzimek führte 1980 in Klages’ Rede ein und bezeichnete sie als so weitsichtig wie vergeblich. Die Artenausfallrate gilt mittlerweile als die größte seit dem Sauriersterben, nämlich um den Faktor 1.000 erhöht. Zwei Drittel der Tier- und Pflanzenarten werden als bedroht eingestuft.

Damit wuchs der Handlungsdruck. 2002 vereinbarten die Staats- und Regierungschefs beim Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung in Johannesburg, daß die Verlustrate der biologischen Vielfalt bis 2010 deutlich gesenkt werden muß. 2008 schrieb der damalige Ministerialdirektor im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, das sei „kein besonders ehrgeiziges Ziel“, da es doch eigentlich darum gehen müsse, „das Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen gänzlich zu stoppen“. Um zumindest das nicht ganz so ehrgeizige Ziel zu erreichen, sollten zehn Prozent aller Binnengewässer, Meere oder Küsten unter Schutz gestellt werden.

 Doch das wurde bislang nur zur Hälfte erreicht. Zu Beginn der 10. Vertragsstaatenkonferenz (COP10) zur Biodiversitäts-Konvention in Nagoya verbreitete Jochen Flasbarth, seit 2009 Präsident des Umweltbundesamtes, Optimismus. Es sei nicht zu spät zu handeln, aber „wirklich hoch an der Zeit“. Erstmals liege ein unterschriftsreifer Entwurf zur „Biopiraterie“ vor, der sicherstellen soll, daß etwa bei der Nutzung von Pflanzen zur Gewinnung von Arzneien auch die Ursprungsländer finanziell profitieren. Im Gegenzug soll dort der Naturschutz verstärkt werden. „Die Stimmung ist wunderbar“, erklärte euphorisch Günter Mitlacher, Leiter des Bereichs Biologische Vielfalt beim Umweltverband WWF und in Nagoya für die Konvention für biologische Vielfalt zuständig.

So optimistische Töne aus dem Munde von Naturschützern sind selten. Aufbruchstimmung wird dieses Phänomen genannt, dem nach wenigen Verhandlungstagen regelmäßig die Ernüchterung folgt. „Kaum Interesse am Meeresschutz“ stöhnte etwa der Naturschutzbund (Nabu) nach nur zwei Verhandlungstagen. Pro Wildlife monierte, das selbstgesetzte Ziel, den Verlust der Artenvielfalt bis 2010 aufzuhalten sei an Wirtschaftsinteressen gescheitert.

Besserung sei nicht in Sicht, nicht unter der neuen Präsidentschaft für die Biodiversitäts-Konvention (Convention on Biological Diversity/CBD), die von Deutschland an Japan übergeben wurde. Das ist das Land, wo Tausende Delphine abgeschlachtet werden, das Walfangverbot mit pseudowissenschaftlichen Argumenten ignoriert (JF 27/10) sowie die letzten Roten Thunfische (JF 35/09) aufgekauft und zu teurem Sashimi oder Sushi verarbeitet werden. „Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Wir befürchten, daß Japan Fortschritte im Artenschutz auch weiterhin mehr behindert als vorantreibt“, so Sandra Altherr von Pro Wildlife.

36 Prozent der heimischen Arten auf der Roten Liste

Letztlich hängen Erfolge beim Artenschutz nicht nur vom bekundeten politischen Willen ab, auch nicht vom Zweckoptimismus und anderen Stimmungsfragen, sondern von Sachzwängen. Der Druck auf die Ökosysteme hat sich im vorigen Jahrhundert durch eine vervierfachte Weltbevölkerung – inzwischen gibt es 6,92 Milliarden Menschen. Da der wachsende Energiehunger ein zusätzlicher Faktor ist, ist der Druck noch einmal zusätzlich angestiegen. Bei allen Grenzen, die solche Entwicklungen den Konferenzen zum Artenschutz aufzeigen: Eines hat die 10. UN-Artenschutzkonferenz schon jetzt als mediales Ereignis bewirkt; sie hat den Blick vom Klimaschutz wieder auf ein klassisches ökologisches Thema von größter Tragweite gerichtet.

Dabei liegt Deutschland im globalen Trend. 72 Prozent aller Biotoptypen werden hierzulande als gefährdet eingestuft, 36 Prozent der heimischen Tier- und Pflanzenarten stehen auf der Roten Liste der gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten. Es gibt allerdings auch positive Entwicklungen. Das wird bei der Wachtel deutlich, deren Ruf bei einer Wanderung zu hören einst der Dichter Eichendorff pries. Bei der Wachtel kam es in den 1960er Jahren zunächst zu drastischen Bestandsabnahmen durch die Lebensraumzerstörung, die die intensivierte Landwirtschaft mit Düngemittel- und Pestizideinsatz bei gleichzeitig erhöhtem Jagddruck bedeutete.

Dabei kam es örtlich in Deutschland – wie auch in Österreich, Luxemburg, Liechtenstein und Rußland – zum Erlöschen ganzer Populationen. Seit den 1990er Jahren sind wieder Bestandszunahmen zu verzeichnen. Diese gehen auf eine Extensivierung der Landwirtschaft und Flächenstillegungsprogramme zurück. Trotz solcher Einzelerfolge mußte Landesumweltminister Markus Söder (CSU) in München einräumen, daß Bayern seine Hausaufgaben beim Artenschutz noch nicht gemacht habe. „Wir haben die Ziele nicht erreicht.“ Aber Erfolgsfälle wie die der Wachtel machen deutlich, daß sich Engagement im nationalen Rahmen lohnt, unabhängig davon, was in Nagoya erreicht wird.

 

Artenschutzkonferenzen der Uno

Die UN-Artenschutzkonferenzen gehen auf den Umweltgipfel in Rio de Janeiro zurück, auf dem 1992 173 Staaten den Schutz der Artenvielfalt in der Biodiversitäts-Konvention zu einem politischen Ziel erklärt haben. Die 10. Artenschutzkonferenz begann am 18. Oktober im japanischen Nagoya. Dort geht es um die Ausweitung von Schutzgebieten und um ein Protokoll gegen „Biopiraterie“ (Access and Benefit-Sharing/Aufteilung von Zugriff und Gewinn). Hiernach müßten Pharmakonzerne, die Arzneimittelsubstanzen aus Tropenpflanzen gewinnen, den Völkern der Ursprungsländer der Pflanzen einen Teil des Gewinns abtreten. Die Entwicklungsländer messen dem ABS-Protokoll große Bedeutung zu, da es für sie die Chance auf zusätzliche Zahlungen aus den Industrieländern eröffnet. Am Ende der Verhandlungen der über 5.000 Delegierten aus 193 Staaten sollen fertige Entwürfe vorliegen, auf deren Grundlage sich die Umweltminister auf die Finanzierung von Artenschutzmaßnahmen verständigen sollen. Die USA sind die einzige Industrienation, welche die Artenschutz-Konvention ablehnt.

Deutsche Informationsplattform zur Biodiversitäts-Konvention:  www.biodiv-network.de

Foto: Delphin – beliebt und doch bedroht: Wirtschaftsinteressen bestimmen Erfolge im Artenschutz

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