© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Frisch gepresst

Gegenforscher. Blickt man zurück auf die germanozentrisch verengte bundesdeutsche Forschung, so scheinen nur deutsche Wissenschaftler, vornehmlich zwischen 1933 und 1945, intellektuelle Hilfsdienste für staatliche Machtapparate geleistet zu haben. Vor diesem Hintergrund ist es schon ein Verdienst, die internationale Normalität solcher Wissensproduktion im Staatsauftrag aufzuzeigen. Tim B. Müller, Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung, wählte die Emigranten Herbert Marcuse und Franz Neumann sowie einige US-Historiker und Soziologen aus, um deren langjähriges und partiell politisch auch erfolgreiches Engagement zu beleuchten. Die von größter Empathie für den „demokratischen Sozialismus“ der linksliberalen Marcuse-Seilschaft getragene, von fleißigen Archivstudien zehrende Studie zeichnet die Zuarbeit für den US-Geheimdienst im Krieg nach, die Beteiligung an der Besatzungs-, nicht „Befreiungs“-Planung für das Reichsgebiet sowie die Konzeption der „Umerziehung“ der Deutschen. Müller taucht Marcuse & Co. dabei als geistig flexi-ble, edelmenschliche „Kalte Krieger“ in wärmstes Licht, während er ihre deutschen Widersacher in der NS-Zeit beiläufig wieder einmal ganz ahistorisch als Handlanger der „Vernichtung um der Vernichtung willen“ denunziert. (ob)

Tim B. Müller: Krieger und Gelehrte. Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg. Hamburger Edition, Hamburg 2010, gebunden, 736 Seiten, 35 Euro

 

Henry Dunant. Der wahre Held von Solferino war in Wirklichkeit nicht der slowenische Infanterieleutnant Trotta aus Joseph Roths „Radetzkymarsch“, sondern der Genfer Geschäftsmann Henry Dunant (1828–1910), den das Elend der Verwundeten auf dem Schlachtfeld 1859 zur Gründung des Roten Kreuzes animierte. Daß der „christliche Zionist“ infolge geschäftlicher Fehlspekulation und durch mißgünstige Konkurrenten beinahe ins Abseits des Vergessens geriet und letztlich erst durch den ersten Friedensnobelpreis 1901 zur bekannten Gründerfigur dieser heute international tätigen Hilfsorganisation wurde, dokumentieren die Historiker Gisela und Dieter Riesenberger in ihrer kundigen und detaillierten Biographie, die sie rechtzeitig zum 100. Todestag des Philanthropen und überzeugten Pazifisten am 30. Oktober präsentieren. (bä)

Dieter und Gisela Riesenberger: Rotes Kreuz und Weiße Fahne. Henry Dunant 1828–1910. Der Mensch hinter seinem Werk. Donat Verlag, Bremen 2010, gebunden,360 Seiten, Abbildungen, 19,50 Euro

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