© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

„Man bereitet sich auf den Bürgerkrieg vor“
Ideologogie: Eine marxistisch-messianische Analyse zur Lage der kapitalistischen Nation
Oliver Busch

Nach dem Mauerfall war „unter Linken“, wie man im Ruhrpott so sagt, erstmal Hängen im Schacht. Aber im Laufe der 1990er berappelte man sich. Und dann half die Sozialpolitik der rot-grünen Schröder-Koalition kräftig mit, um Linksaußen als Partei neu zu ordnen und in Wahlen zu konsolidieren.

Jenseits solcher pragmatischen Installationen, auf dem strategisch wichtigeren ideologischen Sektor, sah es hingegen lange weniger rosig aus. Mit der Implosion des Sowjetimperiums schien die politische Weltreligion des Marxismus-Leninismus (ML) für alle Zeiten erledigt. Das änderte sich erst fast schlagartig mit Beginn der „Weltfinanzkrise“ im Herbst 2008. Neu keimende Hoffnungen auf das Ende des Kapitalismus und frische Glaubensgewißheit, die Verheißungen der bärtigen Altväter möchten sich erfüllen, beflügeln seitdem die Phantasie der Betonköpfe aus SED-Zeiten vom Schlage Arnold Schölzels wie der elastischeren „Wessis“ vom Typus Christoph Butterwegge. Im dichten Blätterwald marxistischer Theoriepostillen will das Jubilieren daher nicht enden.

Sichtlich ermuntert von „Griechenlandkrise“ und Euro-Desaster glaubt auch der am 13. August 1967 aus der Bundeswehr in die DDR desertierte Arnold Schölzel, promovierter ML-Philosoph und seit 2000 Chefredakteur der Jungen Welt, eine Lageanalyse riskieren zu dürfen, die seine Genossen auf die nahende „Systemüberwindung“ einstimmen soll (Marxistische Blätter, 4/2010). Schölzel meint, die westlichen Industrienationen, darunter die Berliner Republik vornan, befänden sich in einer derart tiefen ökonomischen und damit zwangsläufig legitimatorischen Krise, daß die Herrschenden und Besitzenden sich derzeit „auf den Bürgerkrieg“ vorbereiten.

Anti-US-Propaganda mit Anleihen an NS-Diktion

Indikatoren dafür seien der beispiellose „Entzug sozialer Rechte“, die in „Sparpaketen“ verpackte „hemmungslose Aufbürdung der Lasten von Krise und Staatsverschuldung auf Kinder, Jugendliche, Frauen, Patienten und Arbeitslose“, die an „Börsenwünschen“ orientierten parlamentarischen Blitzbeschlüsse nach dem Muster von „Notverordnungen“ („Rettungspakete“) aus Zeiten der Weimarer Agonie, schließlich „die Bereitschaft in Teilen der Bourgeoisie, die bisherige Verfassungs- und Rechtsordnung in Frage zu stellen“, um das „Akkumulationssystem“ effizienter zu schützen, sowie das sich darob ausbreitende „Unbehagen an der Demokratie“.

Für Schölzel signalisieren diese Prozesse aber nicht nur einen „völlig neuen Grad von Ausbeutung“ in einen sich vom Sozialstaat befreienden deutschen „Klassengesellschaft“ urkapitalistischen Gepräges. Die BRD füge sich damit auch nahtlos ein in die Politik der kapitalistischen Führungsmacht USA und ihrer „Herrenvolk democracy“, wie das der italienische Marxist Domenico Losurdo mit einer unübersetzten deutschen Vokabel nennt. Was weltweit gerade auch in der „präventiven Aufstandsbekämpfung“ im Irak und in Afghanistan ins Werk gesetzt werde, sei nicht weniger als die Globalisierung des authentischen US-Modells von Demokratie: „der Sklavenhalterstaat als ‘Rassenstaat’“, der die „Havenots“, die „Habenichtse der Welt“ von den Fleischtöpfen fernhalten wolle.

Eine Deutung der aktuellen Weltlage, mit der Schölzel, gestützt auf Losurdo, lupenrein nationalsozialistische Kriegspropaganda wiederaufbereitet, verkürzt nur um die Pointe, daß das von ihm ganz unmarxistisch so titulierte, nämlich abstrakt-adjektivlose „Finanzkapital“ in der konkretisierenden NS-Diktion ein „jüdisches“ war. Unbekümmert um solche geistigen Anleihen, wenig irritiert auch vom Umstand, daß ein Subjekt der Revolution wie das gute alte „Proletariat“ irgendwie abhanden gekommen ist, gibt Schölzel sich siegessicher. Wie Marx es lehrt, werde der Kapitalismus an seinen inneren Widersprüchen zugrunde gehen. Die „Tendenz zur Verschärfung und Zementierung der Klassenspaltung“ evoziere im Tiefpunkt der Krise den revolutionären Umschlag. Denn in Sicht sei schon eine weitere „Wirtschaftskrise“.

Die aber werde „harmlos sein im Vergleich zu dem politischen Erdbeben“, das ein von Schölzel erwartetes „Ende des europäischen Projekts auslösen wird“. Angela Merkels „Demagogie“ (Euro retten oder die EU zerstören“) verdecke nicht mehr, welche Stimmung in den Führungsetagen herrsche: „Man ist ziemlich am Ende seines Lateins.“ Das gelte zudem für die traditionellen Sinnstifter wie Philosophen und Politologen. Intellektuelle Apologeten wie Peter Sloter­dijk, Norbert Bolz oder Herfried Münkler böten, je nach Bedarf zu nationalem oder internationalem Gebrauch, nur eine vom „Ressentiment des bundesdeutschen Mittelständlers“ gespeiste, leicht durchschaubare „Philosophie der Hackordnung“ an. Da sei das Credo der FDP unter der Ägide Westerwelles doch ehrlicher: „Zurück zur Horde!“ www.marxistische-blaetter.de

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