© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Roms vergessener Feldzug
Die Funde am niedersächsischen Harzhorn bestätigen Theorien, daß die Römer auch lange nach Arminius in Germanien Krieg führten
Daniel Körtel

Um die Variationsbreite der spektakulären Grabungen am „besterhaltenen Schlachtfeld der Antike“ darzustellen, breitet Thorsten Schwarz auf zwei Tischen massenweise rostroten Abfall aus. Der Grabungstechniker und Prospektionsleiter für die archäologische Untersuchung des römisch-germanischen Schlachtfelds am Harzhorn bei Kalefeld in Niedersachen dokumentiert damit die Fundstücke, die über viele Jahrhunderte in den Boden eingebracht und jetzt ausgegraben wurden.

Insbesondere die vielen Buntmetall-Verschlüsse von Getränkedosen des bis in die neunziger Jahre üblichen „Ring-Pull-Systems“ müssen eine Qual für die Sondengänger sein, geben diese doch ein sehr gutes Signal. Ebenso erschwerend sind die vielen Munitionshülsen, auch Pistolen, sogar Eierhandgranaten! Das Harzhorn war auch Schauplatz von Kampfhandlungen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Ein Bomber warf 1945 hier gar seine komplette Last ab. Man befinde sich immer in enger Verbindung mit dem Kampfmittelräumdienst.

Die römischen Funde heben sich dank der Qualität des römischen Eisens in ihrem Erhaltungszustand von den übrigen stark ab. Der Keil einer aufgefundenen Axt könnte durchaus auch heute noch verwendet werden. Germanische Fundstücke sind sehr selten, da diese ein anderes Verhältnis zu ihren Waffen hatten als die Römer. Schwarz zeigt Fotos eines aufgefundenen Schlüssels für eine Truhe, Münzen, Sandalennägel, Ziernägel einer Kutsche sowie Hipposandalen. Einige der Fundstücke sind so öffentlich noch nicht gezeigt worden.

Wieder einmal machten Hobbyarchäologen den Fund

Die römischen Relikte und ihre Lagerichtung offenbaren ein dynamisches Kampfgeschehen wie es typisch ist für die auf flexible Kampfesweise ausgerichteten Legionen des dritten Jahrhunderts. Der Fundplatz macht auch eine vollkommen neue Herangehensweise erforderlich. Mit der klassischen Archäologie kommt der Fachmann hier nicht weiter und muß die Prospektionsmethoden der noch jungen Schlachtfeldarchäologie anwenden. Fachleute der Experimentalarchäologie wurden herangezogen, um die Katapult-spitzen der Scorpio, einem mobilen Artilleriegeschütz, zuzuordnen.

Ähnlich dem spektakulären Fund der Himmelsscheibe von Nebra, verdankt sich die Entdeckung des Schlachtfelds zwei illegal suchenden Sondengängern, die um das Jahr 2000 herum auf der Suche nach den Überresten einer mittelalterlichen Burg das Harzhorn erkundeten. Sie entdeckten dabei eine Hipposandale, die sie nicht zuordnen konnten. Erst eine Nachfrage in einem der einschlägigen Internetforen brachte den entscheidenden Hinweis, der die beiden zur zuständigen Kreisgebietsarchäologin führte und somit seit 2008 alles ins Rollen brachte. Die Entdeckung dieses römischen Schlachtfeldes im Vorharz war eine Sensation, weil es der erste archäologische Beleg war, daß die Römer noch über 200 Jahre nach dem Rachefeldzug von Germanicus 14 bis 16 n. Chr. aufgrund der Vernichtung der Varuslegionen 9 n. Chr. großangelegte militärische Vorstöße bis weit in das Innere Germaniens unternahmen.

Die strategische Bedeutung des Harzhorns wird durch die Luftbildaufnahme mit einem Schlag deutlich. Wie ein Sperriegel verläuft der Höhenzug in Ost-West-Richtung und läßt eine kleine Talschlucht offen, durch die heute die Autobahn 7 verläuft. Ein Airborne-Laserscanning verstärkt durch die Profildarstellung des Geländes den Eindruck der geographischen Begebenheiten durch die Herausarbeitung der steil abfallenden Hänge.

Problematisch für die Bewertung der Funde ist die schwierige Quellenlage des dritten Jahrhunderts. Es ist eine krisenhafte Zeit, in der viele Lücken bei den Quellen klaffen. Dennoch war es möglich, den Schlachtort in Übereinstimmung mit den Quellen zu bringen. 233 n. Chr. fielen Tausende Germanen über die wegen des römischen Perserkriegs entblößte Rhein- und Donaugrenze am obergermanisch-rätischen Limes in den römischen Teil Germaniens zu größeren Beutezügen ein. Um welche Stämme es sich zu dieser Zeit konkret handelte, ist nicht überliefert. Allerdings muß man davon ausgehen, daß es sich nicht um die zu Arminius Zeiten präsenten Stammesstrukturen mit Cheruskern, Marsern, Hermunduren oder Chatten handelte. Zwei Jahre später zog Kaiser Severus Alexander (222–235 n. Chr.) seine Legionen in Mainz (römisch Mogontiacum) für einen Vergeltungsfeldzug zusammen. Allerdings gab der Kaiser einer Verhandlungslösung den Vorzug. Da diese jedoch seine Soldaten um den Beutegewinn zu bringen drohte, ermordeten diese den römischen Kaiser und setzten an seiner Statt den beliebten Rekrutenausbilder Maximinus Thrax auf den Thron, der dann natürlich den Feldzug in Gang setzen mußte.

C14-Analyse deuten auf   Legionen aus Nordafrika

Dazu paßt auch das überraschende Ergebnis einer C14-Analyse eines in einer Speertülle eingekapselten Holzstücks. Darin fanden sich Spuren afrikanischer Gräser, welche die Listenaufstellung der in Mainz zusammengezogenen Legionen bestätigt, da sich darunter auch eine Legion mitsamt ihrer Bewaffnung aus Nordafrika befand. Der römische Geschichtsschreiber Herodian beschrieb, daß der neue Kaiser (Maximinus Thrax) „weite Landstriche durchzog, ohne daß sich ihm jemand entgegenstellte, die Barbaren waren zurückgegangen. Er verwüstete das ganze Land, vor allem die fast erntereifen Felder, steckte die Dörfer in Brand und überließ sie dem Heer zur Plünderung. Die Germanen aber hatten sich aus den offenen Ebenen und unbewaldeten Gebieten zurückgezogen.“ Die Quellen des Herodian wurden jedoch bisher immer zurückhaltend beurteilt und galten nicht als derart stichhaltig, daß man darauf archäologische Forschungen ausrichtete – bis zu den jetzigen Funden am Harzhorn.

Aus den bisherigen Funden wurden zwei favorisierte Arbeitshypothesen entwickelt: Laut der ersten war der Legionstroß auf dem Weg von Nord nach Süd und wollte durch die Schlucht, wo die Soldaten von den germanischen Kriegern angegriffen wurden. Durch einen sanften Anstieg im Hang haben die Legionäre versucht, die Germanen an der Flanke zu umfassen, woraufhin diese zurückwichen.

Die zweite Version geht davon aus, daß sich der Legionstroß, die überlegene Position des Höhenkamms ausnutzend, von West nach Ost bewegte – oder umgekehrt – und von Süden her von den Germanen überfallen wurde. Dazu würde passen, daß das Harzhorn auf einer Linie mit der Lippe liegt, die in der Zeit vor der Varusschlacht ein Schwerpunkt römischer Expansion in Germanien war. Anzunehmen ist, daß auch im dritten Jahrhundert die Armeeführung auf Geländekenntnisse dieses nicht mehr zu Rom gehörenden Territoriums aus der augusteischen Zeit zurückgegriffen habe. Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand lasse sich aus den bislang gemachten Funden schließen, daß die Römer siegreich aus der Schlacht hervorgingen, sagt die Northeimer Kreisarchäologin Petra Lönne.

Bisher ist alles noch sehr spekulativ und mit vielen Fragezeichen versehen. Jeder Tag könnte Funde hervorbringen, die das Bild wieder umwerfen. Die Finanzierung für weitere archäologische Untersuchungen scheint gesichert. Man hat auch Gelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft beantragt. www.roemerschlachtamharzhorn.de

Fotos: Römisches Kettenpanzerfragment, gefunden am Harzhorn: Die Entdeckung des Schlachtfeldes im Vorharz war eine Sensation, weil es der erste archäologische Beleg war, daß die Römer noch nach 200 n. Chr. in Germanien kämpften, Blick nach Süden auf das Harzhorn. Gelblich markiert sind in dieser Animation die Hauptkampfplätze: Nach dem derzeitigen Erkenntnisstand kann man auf einen Sieg der Römer schließen

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