© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Die allgemeine Sympathie, die dem Verteidigungsminister samt seiner Frau entgegengebracht wird, hat weniger politische, eher psychologische Motive. Insofern ist der Vergleich mit den Kennedys nicht abwegig. Allerdings kommt wegen der adligen Herkunft etwas anderes hinzu, das auch schon für die Zustimmung zur Amtsführung Richard von Weizsäckers eine Rolle spielte. Selbst Konservative, die dessen politische Stellungnahmen mißbilligten, empfanden widerwilligen Respekt für seine Stilsicherheit. Es war beruhigend, daß das Staatsoberhaupt sich zu benehmen wußte und die erste Dame kaum mit Tätowierung oder in sackförmigen Gewändern erscheinen würde. Das hat selbstverständlich mit der Herkunft zu tun, wenngleich der Adel der Weizsäckers (wie der Name andeutet) jüngeren, der der Guttenbergs sehr alten Datums ist.

Für die Vorstellung von der bereichernden Wirkung des Islam muß man in Deutschland zwei Wurzeln annehmen: Aufklärung und Romantik. Die Aufklärung mit ihrer Geschichtsvergessenheit, der Ignoranz gegenüber der Aggressivität des Islam während eines Jahrtausends, Lessings alberner Ring-Parabel, dem Haß auf alles Katholische und der Neigung, sich auf die Seite der „Anderen“ zu stellen, und die Romantik mit ihrer Empathiebereitschaft, der Wahrnehmung des fremden Zaubers und gleichzeitig dem Wunsch nach Übersetzung. Das erklärt, warum bei uns von der äußersten Linken über die gebildete Mitte bis zu den Völkischen immer irgendwelche Sympathisanten des Islam zu finden sind, dessen Anhänger als Ersatzproletariat, als Illustration des „West-östlichen Divans“ oder edle Wilde herhalten müssen, in jedem Fall als Authentische.

Es sollte mißtrauischer machen, daß Begriffe wie „Kritik“, „Kritikfähigkeit“, „kritisches Bewußtsein“ dramatisch an Kurswert verloren haben.

Die nachhaltige Bewunderung für den Adel, jenseits des Interesses, das die Regenbogenpresse am Leben erhält, weist auch auf das schlechte Gewissen des Volkes hin, das sich seiner alten Führungsschicht entledigt hat, aber das Gefühl nicht losbekommt, daß der Ersatz schlechter war, daß die Wirklichkeit des Adels kaum in den Karikaturen des Simplicissimus oder Witzeleien über schnarrende Leutnants zu finden ist, daß er in Frieden und Krieg Hervorragendes geleistet hat. Als 1919 nach dem Sturz der Monarchie die preußischen Fideikommisse, also die bis dahin unveräußerlichen Adelsgüter, aufgelöst wurden, stellte man fest, daß die Besitzungen dazu gedient hatten, 154 Bibliotheken, 42 Kleinkinder- oder Krüppelschulen, 2 Waisenhäuser, 84 Alters- oder Armenheime, 46 Krankenhäuser und 66 Schwesternstationen zu unterhalten. Zum anderen: Der Blutzoll, den der deutsche Adel in den beiden letzten Kriegen geleistet hat, übertraf deutlich den aller anderen Schichten. Zu erinnern wäre stellvertretend an die jugendlichen Dioskuren Götz von Seckendorff, den Maler und Bildhauer, der am Beginn des Ersten Weltkriegs, und Bernhard von der Marwitz, den Dichter und Übersetzer Claudels, der an dessen Ende fiel, aber auch an jene drei Brüder aus dem Geschlecht der Grafen Blücher, die beim Angriff auf Kreta, alle an einem Tag, dem 21. Mai 1941, gefallen sind; der jüngste, Hans-Joachim Graf von Blücher, im Alter von 17 Jahren.

Die multikulturelle Gesellschaft ist doch vor allem die Verwirklichung des liberalen Traums: Aufhebung aller existentiellen Bindungen des Menschen: Nach Religion nun auch Volk als Privatsache.

Bildungsbericht in loser Folge II: Die alarmierenden Meldungen aus der deutschen Wirtschaft, daß man wegen der sinkenden Schulabgängerzahlen um die Besetzung von Lehrstellen fürchte, bedarf der Ergänzung. Es geht nicht nur um ein quantitatives Problem und auch nicht nur um eine Verteilungsfrage. Es geht vor allem um ein qualitatives Problem. Ein Manager äußerte im Gespräch, daß man vor fünf Jahren für eine Sachbearbeiterstelle – Voraussetzung Abitur – sechzehn Bewerber hatte, von denen knapp die Hälfte geeignet war, heute seien es mehr als sechzig Bewerber, aber die Zahl der geeigneten liege bei fünf.

Bevor die Allergie gegen solche Verweise um sich griff, kam der Anthropologe Egon von Eickstedt 1952 noch ganz selbstverständlich zu der Feststellung, der Adel Europas sei im Mittelalter, nach Gründung der Rus, „von Nowgorod bis Toledo wesentlich nordisch, gleicher indogermanisch-reiterlicher-ritterlicher Tradition und Zucht, und daher international“ gewesen, und: „Mit seinem Verbrauch seit Karls des Großen bis zu Karls V. Weltreich zerbröckelt eine der großen geistigen und sittlichen Klammern Europas, und nationalistische Teilgebilde sprachlicher Eigenprägung steigen herauf und kulminieren im Jahrhundert nach der großen Revolution.“

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint in zwei Wochen in der JF-Ausgabe 46/10.

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