© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Der Kreis des Irrsinns
Zur Kritik an Islam-Kritikern: Die Grenze zur Unterwürfigkeit ist längst überschritten
Thorsten Hinz

Mit Alice Schwarzer kann man beinahe Mitleid haben. Eben noch sah die Radikalfeministin wie die sichere Siegerin der Geschichte aus: Gender-Politik ist Staatsräson; der Unterschied zwischen Mann und Frau gilt als Konstrukt einer männerdominierten Kultur, die institutionell bekämpft wird; Mutterschaft ist faschistisch und Abtreibung fortschrittlich; die Diskriminierung von Jungen gegenüber Mädchen war jahrzehntelang pädagogisches Prinzip.

Doch nun zerrinnt ihr der Sieg zwischen den Fingern. Der alte emanzipatorische Schlachtruf „Mein Bauch gehört mir“ richtet sich in abgewandelter Form – „Mein Kopf gehört mir“ – gegen sie selbst. Das Kopftuch wird in ein Zeichen individueller Selbstbestimmung umgedeutet und symbolisiert den Vormarsch des Islam in Deutschland, der weit hinter den Punkt zurückführt, an dem Schwarzer vor 40 Jahren ihren Kampf begonnen hatte: eine List der Geschichte, von der sie gerade überrumpelt wird.

Schwarzers feministischer Kampf war Teil einer Kulturrevolution, die Politik und Gesellschaft über die Veränderung des menschlichen Bewußtseins umstürzen wollte. Das ist weitgehend gelungen, doch damit hat man sich auch wehrlos gemacht einer fremden Religion gegenüber, welche die links-emanzipatorischen Errungenschaften für sich nutzt mit dem Ziel, sie beiseite zu schieben.  Man darf Schwarzer zugute halten, daß sie die Zeichen der Zeit erkennt und ihrem alten Anspruch unter neuen Bedingungen treu bleibt.

Unter den linken und liberalen Intellektuellen steht sie damit weitgehend allein. In der taz beschuldigte die Feministin Birgit Rommelspacher, eine Professorin mit den Spezialgebieten Interkulturalität und Geschlechterstudien, sie wegen ihrer Islam-Kritik der Rechtsdrift. Im Neuen Deutschland lokalisiert der Soziologieprofessor Achim Bühler die „Position des orthodoxen Feminismus und seiner islamfeindlichen Variante bei Alice Schwarzer (...) in der Tradition eines kolonialen Feminismus“, der die „postkoloniale Normierung“ der muslimischen Frau zum Ziel habe. Für Patrick Bahners, Feuilletonchef der FAZ, ist Schwarzer die Wortführerin eines „jakobinischen Kreuzzuges, der über den Geist des liberalen Rechtsstaates hinweggeht“.

Man glaubt sich in ein Tollhaus versetzt! Nun läßt sich gegen Islam-Kritiker wie Schwarzer, Henryk M. Broder oder die Autoren von Politically Incorrect viel einwenden. Zum Beispiel Schwarzers Unfähigkeit, ihr dogmatisches Frauenbild in Zweifel zu ziehen. Zielscheibe der Kritik kann niemals die altehrwürdige islamische Religion sein, sondern sie muß sich auf die staatlichen, politischen, geistigen Voraussetzungen beziehen, die ihr in Deutschland (und Europa) soviel Raum geben.

Auch ist es töricht und trügerisch, sein antiislamistisches Anliegen mit Israel-Flaggen zu legitimieren. Almut Bruckstein, Professorin für Jüdische Religionsphilosophie, die sich „Jerusalemerin und Berlinerin“ nennt, schrieb im Berliner Tagesspiegel: „In Zeiten, in denen muslimische Traditionen unter Generalverdacht stehen, bedarf es einer erneuten Liaison der jüdischen Intellektuellen mit den Muslimen dieses Landes. Es ist wieder Zeit, daß wir bekennen müssen. Wo Muslime Fremde sind, sind wir es auch.“

Doch solche Schwächen der Islam-Kritiker erklären nicht das Entgegenkommen, mit dem linke und liberale Intellektuelle das Vordringen islamischer Wertvorstellungen und Lebensformen registrieren. Diese Toleranz hat die Grenze zur Unterwürfigkeit längst überschritten und korrespondiert mit wachsender Aggressivität gegen die schwächelnde katholische Kirche und mit gnadenloser Ignoranz im Angesicht der Gewalt, der Deutsche durch Moslems ausgesetzt sind.

Die Linksintellektuellen scheinen geradezu fasziniert zu sein vom geschlossenen Weltbild, vom ganzheitlichen Lebensentwurf, von der Einheit aus Verstand und Glauben sowie der Willens- und Tatkraft, mit der die Moslems ihren Missionierungsdrang verwirklichen. Das ist kein Zufall. Die Sehnsucht nach solcher kompakten Einheit bedeutet keine Abweichung vom ursprünglichen Tugendpfad, sondern sie ist ein konstitutives Element des Linksintellektualismus.

Der Utopie-Glaube an die Weltrevolution und die proletarische Mission, der sie bei der Gelegenheit überkam, wandelte sich in der Bundesrepublik zu einem Welt-Humanitarismus, der sich auf Schuldgefühl, Antikolonialismus, Sozialromantik, auf Fortschritts- und Gerechtigkeitspathos gründete. Die 1989 erlebte Enttäuschung wird nun durch die Islam-Romantik kompensiert, in der deutlich die Idealisierung der Dritten Welt nachklingt. Die Professorin Rommelspacher profiliert sich als Kritikerin des „Weißseins“ als einer europäischen „Dominanzkultur“. Die Sehnsucht nach Erlösung von okzidentaler Komplexität und von selbstversursachten Konflikten ist so groß, daß sogar die eigenen linken Positionen in der Frauenfrage verzichtbar erscheinen.

Im global ausgerichteten Humanitarismus, der zwischen Eigenem und Fremdem kaum unterscheidet, begegnen sich linke mit liberalen Intellektuellen. Patrick Bahners stützt sich auf einen angelsächsischen Liberalismus-Begriff, der „die Verbindung zu Metaphysik und Theologie gekappt hat“ und den Pragmatismus betont. Dieser Liberalismus aber war historisch mit ganz konkreten Machtansprüchen und Ordnungsvorstellungen verbunden, die global durchgesetzt werden sollten und sich nicht zuletzt gegen Deutschland richteten. Inzwischen ist Europa viel zu schwach, um auf die globale Verbindlichkeit solcher Normen zu bestehen. Das gibt dem Islam die Möglichkeit, die individuellen Rechte, die der Liberalismus den Moslems konzediert, massenhaft gegen den liberalen Staat und – was viel wichtiger ist – gegen die europäische Lebenform überhaupt in Stellung zu bringen.

Viele Islam-Kritiker sind außerstande, diesen selbstzerstörerischen Widerspruch zu erkennen und zu benennen. Doch nicht dieser reale Kritikpunkt ist es, der Bahners umtreibt. Unter der Überschrift „Der siegreiche Feminismus will Minderheiten nicht mehr schützen“ eröffnet er falsche Fronten. An anderer Stelle verteidigt er den Vorschlag des Erzbischofs von Canterbury, neben der britischen Rechtsordnung die Scharia als Minderheitenrecht gelten zu lassen. Immerhin räumt er seine Zweifel ein, „ob nicht in die meisten vermeintlichen Binnenkonflikte Außenverhältnisse hineinspielen, so daß einem Sonderrecht der abgesonderte Geltungsbereich abginge“, und ob „die dauerhafte Ansiedlung eingewanderter Muslime es (nicht) verbietet, sie nach dem Muster von Kaufmannskolonien zu behandeln“.

Aber selbst diese Bedenken gehen am Kernkonflikt vorbei. Das Hauptproblem für Staat und Gesellschaft sind nicht die deutschen (europäischen) Außenverhältnisse, die in die muslimischen Binnenverhältnisse hineinspielen, sondern die schleichende Veränderung der Außenverhältnisse durch die latente Gewalt-androhung der Binnen-Moslems. Nur im Ausnahmefall verwirklicht sie sich so spektakulär wie im Fall des niederländischen Filmemachers Theo von Gogh oder des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard. Im Alltag wird sie greifbar in der Furcht und Ohnmacht von Polizei, Behörden und Justiz, in der Angst deutscher Schüler vor ausländischen Jugendgangs und der Flucht deutscher Anwohner aus ihren angestammten Lebensräumen.

Natürlich weiß der FAZ-Kämpfer für Minderheitenrechte das selbst, in seinem eigenen Feuilleton wird gelegentlich darüber berichtet. Doch der vermeintliche Mut, den er gegen Frau Schwarzer wendet, ist eben bloß die Kehrseite seiner Feigheit vor der islamischen Herausforderung.

Diese Schwäche ist für das tonangebende linksliberale Milieu der Bundesrepublik bezeichnend. Sie hat zwei Komponenten, die intellektuelle und die mentale. Die intellektuelle besteht – als Langzeitfolge des Habermasschen Diskurs-Geschwurbels – in der Unfähigkeit zur Freund-Feind-Kennung. Die mentale besteht in der allgemeinen Effeminierung der deutschen Gesellschaft, welche die Perspektive des Kampfes fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Naturgemäß betrifft das vor allem die Männer, die nicht zuletzt dank Alice Schwarzers Kampf domestiziert und pazifiziert sind. So schließt sich der Kreis des bundesdeutschen Irrsinns.

Die Minderwertigkeitskomplexe, die daraus resultieren, brechen immer mal wieder hervor. Nachdem der 91jährige Völkerrechtler Karl Doehring in der FAZ die Unvereinbarkeit von Islam und Grundgesetz referiert und auf die Möglichkeit islamistischer Indoktrination hingewiesen hatte, versuchte Bahners ihn als Person zu erledigen: „Aus erster Hand hat der einstige Panzeroffizier im Afrikakorps über den Nationalsozialismus in seinen Memoiren und in zahlreichen Leserbriefen berichtet.“ Richtig ist, daß der Panzeroffizier Doehring kämpfen, tapfer und mutig sein mußte, um im Krieg zu überleben. An welcher Stelle hat Bahners, der neumalkluge Etappenhengst, sich jemals vergleichbar bewährt?

Soll die aktuelle Bewährungsprobe bestanden werden, dann muß ein großer ideologischer Kehraus vorausgehen!

Foto: Frau mit Kopftuch in der Ditib-Moschee im hessischen Friedberg (22. Mai 2010): Symbol für den Vormarsch des Islam in Deutschland

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