© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  44/10 29. Oktober 2010

Warum uns das Gesundheitssystem in den Wahnsinn treibt
Transparenz ist der Schlüssel
Dieter Stein

Kaum etwas ist so kompliziert und umkämpft wie das Gesundheitssystem und seine Finanzierung. Jeder ist davon betroffen. Jeder wird einmal krank und muß zum Arzt. Und jeder, der Geld verdient, zahlt in einen der riesigen Umverteilungstöpfe ein, aus denen ein Apparat bezahlt wird, der einen in aller Welt bewunderten deutschen Standard der Gesundheitsversorgung garantiert.

Im Laufe der Jahrzehnte ist jedoch ein Umverteilungsmoloch entstanden, dessen Dickicht für den Laien immer undurchschaubarer geworden ist. 170 Milliarden Euro gaben allein die Gesetzlichen Krankenkassen 2009 für medizinische Leistungen und Arzneimittel aus. Verbandsvertreter der Krankenversicherungen, der Ärzte, der Apotheker, der Pharmaindustrie streiten um einen riesigen Kuchen, den es jährlich zu verteilen gilt.

Und die Kostenspirale dreht sich weiter, nicht zuletzt aufgrund der durch Demographie und steigende Lebenserwartung bedingten Überalterung und kostenintensiven medizinischen Neuerungen. So erhöhen die Gesetzlichen Krankenkassen die Beiträge zum Jahreswechsel von 14,9 auf 15,5 Prozent, viele private Krankenkassen fassen sogar noch höhere Steigerungen ins Auge.

Ob in der eigenen Firma oder im Staat: Eines der wichtigsten Instrumente gegen aus dem Ruder laufende Kosten ist nicht mehr Reglement, sondern zuallererst die Herstellung von Transparenz. Alle an der Verursachung von Kosten Beteiligten müssen einbezogen werden: Jedem Patienten muß bewußt sein, welche Kosten ein Arztbesuch im Detail auslöst, und er soll die Gelegenheit haben, so es möglich ist, überflüssige Behandlungen auch durch Verhaltensänderungen zu vermeiden.

Neulich mußte ich wieder einmal wegen verstopfter Ohren zum Arzt. Meine Ärztin war im Urlaub, also mußte ich zu ihrem Vertreter. Ich hatte eigentlich klar gesagt, was ich möchte: Ohren ausspülen. Trotzdem wurde ich überrumpelt mit einem anschließenden „Routine-Check“ – „Öffnen Sie mal den Mund!“ –, es wurde kurz in die Nase gespäht, alles in Sekundenbruchteilen. Als Privatpatient mit Eigenbeteiligung durfte ich eine Rechnung von weit über 100 Euro bezahlen, deren Hauptpositionen aus dieser nicht erwünschten Routineuntersuchung bestand. Mich schmerzt es, weil ich dank Selbstbeteiligung das ganze selbst bezahlen mußte.

Ich möchte weder Ärzte noch andere am Gesundheitssytem Beteiligte an den Pranger stellen. Viele arbeiten dort an der Belastungsgrenze und werden durch ein absurdes Kontrollsystem in die Verzweiflung getrieben. Das System ist krank. Es ist so lange krank, wie es intransparent ist. Jeder Schritt, der zu mehr Kostenbewußtsein und Transparenz führt, ist lobenswert, so unangenehm der Weg auch sein mag.

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