© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Blick in die Medien
Chinesische Kumpel sterben einsam
Ronald Gläser

Es ist gut nachvollziehbar, daß so viele Fernsehzuschauer Tränen in den Augen hatten, als die chilenischen Bergleute aus ihrem dunklen Verlies herausgeholt wurden. Die Rettung der 33 Verschütteten war eine Meisterleistung – und sie war ein bislang einmaliges Medienereignis. Journalisten aus aller Welt haben sich an der Mine San José eingefunden. Die Bilder von den Geretteten wurden in die ganze Welt übertragen. In den USA, wo viele Chilenen leben, wurde das Spektakel sogar auf öffentlichen Großleinwänden gezeigt.

Das BBC-Nachrichten-Budget wurde durch die hohen Kosten für 26 Reporter gesprengt

Die Medien überschlugen sich mit Berichten. Klar, sie hatten ja alle ihre Reporter in die Wüste geschickt, um den Moment nicht zu verpassen, in dem der erste Kumpel ans Tageslicht zurückkehrt. Die britische BBC hat nach einem Bericht des Guardian mehr als 100.000 Pfund für die Berichterstattung ausgegeben und damit ihr Nachrichtenbudget gesprengt. Die Sendeanstalt hatte 26 Mann vor Ort.

Wir wissen jetzt aufgrund der Dauerberichterstattung, daß einer der Bergleute zwischenzeitlich Vater geworden ist und daß einer so heißt wie der Bundesligastar Mario Gomez. Und wir erfuhren verblüfft davon, daß Enge und Isolation in 600 Metern Tiefe die Eingeschlossenen seelisch belaste. Wer hätte das gedacht?

Die Berichterstattung war nicht nur wegen solcher Details ein wenig bizarr. Der ganze Rummel war auch unverhältnismäßig groß. In China sterben jährlich Hunderte von Kumpel im Bergbau. Wie viele es genau sind, ist unbekannt. Die Partei hält die Informationen darüber geheim. Höchstens im Erfolgsfall erfahren wir davon – so zum Beispiel im April, als 115 Bergleute (mehr  als dreimal so viele wie in Chile) nach einer Woche gerettet worden sind. Es gibt dort keine Kameras, die vor Ort sind und darüber berichten dürfen. Also finden diese Tragödien nicht statt, kaum jemand nimmt je davon Notiz.

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