© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Ewige Fehde
Böhmen und Mähren: Streit um Alfons Muchas „Slawisches Epos“
Paul Leonhard

Die Japaner sind die Leidtragenden. Denn eigentlich sollte das „Slawische Epos“ von Alfons Mucha (1860–1939) ab 2012 im Nationalen Kunstzentrum von Tokio zu sehen sein. Dagegen hat der Prager Stadtrat sein Veto eingelegt. Die Ratsherren wollen die Bilder selbst sehen. Und zwar möglichst schnell.

Bereits Ende August sollte der komplette Zyklus in der Hauptstadt sein. Daß es mit dem Termin nicht geklappt hat, liegt am Widerstand der Bürger von Mährisch Krumau (Moravský Krumlov). Hier sind die 20 großformatigen Gemälde seit 1963 provisorisch auf einem Schloß untergebracht. Den Einwohnern der südmährischen Kleinstadt sind die Kunstwerke aber so ans Herz gewachsen, daß sie auch künftig nicht auf diese touristische Attraktion verzichten wollen. Immerhin kommen deswegen Jahr für Jahr Tausende Kunstfreunde nach Mährisch Krumau. In diesem Jahren waren es sogar schon 50.000.

Das Tauziehen um das „Slawische Epos“ hat die Tschechen für die Hinterlassenschaft des Jugendstilmalers und Patrioten Mucha, der am 24. Juli 150 Jahre alt geworden wäre (JF 30/10), sensibilisiert. In den Medien wird der Streit zwischen Prag und Mährisch Krumau bereits als „ewige Fehde“ zwischen Böhmen und Mähren hochstilisiert. Dabei wollte Mucha mit seinem Zyklus die Einheit der slawischen Völker darstellen. „Bereits im Jahr 1900, in Paris, habe ich mir vorgenommen, die zweite Hälfte meines Lebens jener Arbeit zu widmen, die bei uns das Gefühl des nationalen Bewußtseins aufbauen und stärken würde“, notiert Mucha 1928 anläßlich der ersten Ausstellung seines Gemäldezyklus im Prager Messepalast. Insgesamt 17 Jahre hat er an diesem Werk gearbeitet. Das slawische, und speziell das tschechische Volk wollte er ehren.

Sein künstlerisches Rüstzeug hat der in Eibenschütz (Ivančice) geborene Mucha an der Akademie der Bildenden Künste in München und später in Paris erlernt. Später avanciert er zu einem der gefragtesten Plakatmaler des Jugendstils, arbeitet als Werbegraphiker und Dekormaler. Als um 1910 sein Ruhm zu schwinden beginnt, zieht er sich nach Prag zurück. Die Niederlage Österreich-Ungarns im Ersten Weltkrieg macht ihm neuen Mut auf ein slawisches Jahrhundert.

Bereits im 1912 vollendeten Primatorensaal des Prager Repräsentationshauses feierte Mucha die „slawischen Tugenden“. Muskulöse Männer oder Epheben stehen für den patriotischen Geist. „Ich bin überzeugt, daß die Entwicklung jedes Volkes nur dann mit Erfolg weitergehen kann, wenn sie organisch und ununterbrochen aus den eigenen Wurzeln wächst, und daß zum Erhalten dieser Kontinuität die Kenntnis der historischen Vergangenheit unerläßlich ist“, schreibt Mucha den Tschechen ins Stammbuch.

Die Finanzierung des „Slawischen Epos“ übernimmt der amerikanische Millionär Charles Richard Crane.  Mucha übereignet es schließlich für eine symbolische Krone der Stadt Prag unter der Bedingung, daß ein würdiger Ausstellungsort gefunden wird. Und genau um diesen dreht sich jetzt der Rechtsstreit zwischen Prag auf der einen und der Kleinstadt Mährisch Krumau und der Familie Mucha auf der anderen Seite.

In Prag glaubt man, mit dem Messepalast einen geeigneten Ort gefunden zu haben. Seit April fordert der Stadtrat die Rückgabe der Bilder. Dabei verweist er auf den schlechten Zustand des zum Verkauf stehenden Schlosses.

In Südmähren sieht man das anders. Der Messepalast sei nur ein weiteres Provisorium, sagt John Mucha, der Enkel des Künstlers und Chef der gleichnamigen Stiftung. Er erwirkt bei der Stadt ein Transportverbot für die Bilder. Das hebt Ende September das Bezirksgericht auf. Im Oktober bestätigt der Landkreis Südmähren das Urteil, aber der Kreishauptmann widerspricht. Der Bürgermeister von Mährisch Krumau läßt die Ausstellungsräume versiegeln. Nun droht Prags Kulturreferent Ondrej Pecha mit Gewalt. Wenn die Kleinstadt die Bilder nicht freigebe, müsse man „die Polizei um Unterstützung ersuchen“, sagt er gegenüber Radio Prag. Rund 1.000 Einwohner protestieren gegen den Umzug der Bilder. Mehr als 6.000 Menschen unterzeichnen eine Petition gegen den Umzug.

Reagiert hat inzwischen auch das Kulturministerium. Es setzte den Gemäldezyklus auf die Liste der nationalen Kunstwerke. Damit sind auch die Anforderungen an den Transport und die Unterbringung der Gemälde gestiegen. Bisher wurden die Kosten für den Umzug und die Einrichtung der Schauräume auf eine Million Euro geschätzt. Aber das „Slawische Epos“ muß auch restauriert werden. Den Großteil der Kosten dafür wollten eigentlich die Japaner übernehmen – im Gegenzug für die jetzt abgesagte Ausstellung in Tokio.

Daß der Herbsttermin für die geplante Schau im Prager Messepavillon gehalten werden kann, ist unwahrscheinlich. Und ob Muchas Geschenk an die slawischen Völker nach 82 Jahren endlich einen „würdigen Standort“ findet, weiß niemand.

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