© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Wagner wäre zufrieden
Musiktheater: An der „Meistersinger“-Inszenierung der Komischen Oper Berlin entzündet sich eine Kontroverse
Götz Kubitschek

In der Komischen Oper zu Berlin wird derzeit eine Inszenierung von Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“ gegeben. Jens Knorr hat in der JF 41/10 vom 8. Oktober deren künstlerische und interpretatorische Qualität kritisiert und die Inszenierung abgelehnt. Man kann aber auch zur gegenteiligen Auffassung gelangen, oder vielmehr – das künstlerische Detail ignorierend – zum ordnungspolitischen Kern der „Meistersinger“ vorstoßen. Diese Oper ist geeignet, den starren Konservatismus von einem revolutionären anschaulich zu scheiden, und die Inszenierung von Andreas Homoki, um die es hier geht, schält diesen Kern heraus.

Da ist die Zunft der „Meistersinger“ im alten Nürnberg, die nach strengen Regeln singt und diese Kunst an Lehrlinge weitergibt. Der Schuhmacher Hans Sachs beherrscht den regelgerechten Gesang meisterlich. Sixtus Beckmesser, der intellektuelle Stadtschreiber, ist hingegen unbegabt, aber er wacht über die Regeln – und ist damit der Überzeugung, daß auch er zu singen berufen sei. Es tritt weiter auf: Das Genie Walther von Stolzing, ohne Regeln singend, hochbegabt.

Wenn Beckmesser den starren Konservatismus vertritt und Stolzing die Wucht der Revolution, so ist Hans Sachs derjenige, der zum einen das Genie Stolzings erkennt, zum anderen den beckmesserischen Sieg der Starrheit verhindert und – das ist das wichtigste – Konservatismus und Revolution miteinander verbindet. Er überzeugt zuletzt den siegreichen Stolzing, die Ordnung der Meistersingerzunft zu akzeptieren und so das revolutionär Neue in die Strukturen des Alten einfließen zu lassen.

Es ist Andreas Homokis Verdienst, daß er diese Kernbotschaft der „Meistersinger“ nicht mit „Regietheater“ überfrachtet hat. Seine Bühne ist zeitlos und veranschaulicht mit wenigen Kulissen die Stimmung in der Stadt: Mal offen für das Neue, mal verschlossen-abweisend, weil die Zunft gesprochen hat, mal durcheinander-chaotisch, weil Stolzing die Gemüter aufwühlt. Am Ende ist Nürnberg festlich, das Revolutionäre weicht der neu gestifteten Ordnung, die weiterhin zu erhalten sich lohnt.

Wagner hat neben zehn tiefernsten Musikdramen eine einzige „Komische Oper“ geschrieben und sie auch eine Zeitlang so genannt: Die „Meistersinger“ sind voller Schalk und Komik, und bei Homoki ist Nürnberg endlich nicht mehr die Spießerstadt, das antisemitische Nest, in dem Sachs und Stolzing in SS-Uniformen den armen Juden Beckmesser ins KZ treiben. Der Stadtschreiber ist vielmehr einfach nur genauso verzappelt, intellektuell und bemitleidenswert, wie Wagner ihn zeichnete. Überhaupt sind die Rollen treffend besetzt: Stolzing und Eva sind großgewachsene, in ein Neues strebende Darsteller, beide stimmlich gut; Lehrlinge und Dienstboten sind bei aller Frechheit so zurückgenommen, wie es sein soll.

In unübersichtlicher Zeit (und was wäre unsere Zeit anderes?) ist es notwendig, Klarheit im Grundsätzlichen zu gewinnen. Wer Gelegenheit hat, sollte die Komische Oper in Berlin aufsuchen!

Die nächsten „Meistersinger“-Vorstellungen in der Komischen Oper Berlin, Behrenstraße 55-57, finden statt am 7., 13., 27. November sowie am 12. und 26. Dezember. Kartentelefon: 030 / 47 99 74 00  www.komische-oper-berlin.de

 

Widerspruch

In der JF-Ausgabe 41/10 vom 8. Oktober hat Jens Knorr die Neuinszenierung der Richard-Wagner-Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“ an der Komischen Oper Berlin kritisiert. Die Regie von Andreas Homoki sei ignorant, sie „entleert“ das Stück; der Raum bleibe „musikalisch unerfüllt, das szenische Bild tot“. Dieser Kritik widerspricht nun Götz Kubitschek. Er meint, daß gerade diese Inszenierung für Konservative unbedingt sehenswert ist.

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