© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

CD: Minnesang
Reverenz an die Frauen
Sebastian Hennig

Einfach und unmißverständlich „Minnesang“ ist eine CD-Einspielung durch das Schweizer Mittelalter-Ensemble „Christoffel Konsort“ betitelt. Sie enthält die vertonten Verse des Grafen zu Rapperswil Werner von Homberg (1272–1320) sowie die seines Ministeriale Otto zum Turm und ein Lied von Albrecht Marschall von Rapperswil. Damals zeigte sich die Schweiz als ein wilder Flecken Erde von dem gerade ein Zehntel der bebaubaren Flächen urbar gemacht war. Der Graf wirkte als Reichsvogt in den Waldstätten und der Leventina und darf als ein Gewährsmann der frühen Eidgenossenschaft gesehen werden. Die letzte Blüte des Minnesanges im frühen 14. Jahrhundert steht schon dem Emporkommen der Städte und des Gewerbes gegenüber als eine Haltung konservativer Beharrung auf ritterlichen Werten. Transparent und zart sind diese aristokratischen Kunstgebilde.

Das trocken-dumpfe Klopfen der verhaltenen Trommel und der perlende Klang der keltischen Harfe erzeugen eine eigenwillige Stimmung, in der sich Gegenwärtiges mit Vergangenem vermählt. Das Christoffel Konsort hat für die Einspielung als Gast einen Blockflötisten hinzugezogen. Die Melodien wurden spätmittelalterlichen Handschriften entnommen. Die Ernsthaftigkeit, mit der die Musiker diese Welt auferstehen lassen, ergreift den Zuhörer. Das ist etwas anderes als die kunsthandwerkliche Vorspiegelung des Alten auf den Mittelaltermärkten.

Die Abfolge der Lieder ist mit Bedacht gewählt. Heiteres wechselt mit Grübeleien. Instrumentalstücke dienen als Einkehr zwischen den Liedern. Ihre schlichte tänzerische Beschwingtheit schafft einen entspannenden Kontrast zur artifiziellen Schwierigkeit der Liebeslyrik. Nicht nur der Gesang, der Minnedienst selbst war eine Kunst. Die Reverenz an die Hohe Frau, deren Gunst das Schicksal anempfohlen wurde, war ein zentraler Gedanke des Rittertums. Die edle, durch Standesgrenzen unerreichbare Frau war die leibliche Manifestation von Fortuna und Maria. Sie gab der vagen Lebensfahrt des Mannes ein geistiges Geleit. Diese weltliche Entsprechung zur liturgischen Musik ist gleichwohl alles andere als profan. Welches Bild der Frau in einer Gesellschaft nach außen getragen wird, sagt viel aus über deren innere Verfassung. Die Zerstörung nagte damals noch allgegenwärtig am Status des Menschen. So waren für den Luxus der Selbstzerstörung und Herabwürdigung schlichtweg keine Reserven aufbietbar.

Der eindringlich vorantreibender Rhythmus von Harfe, Trommel und Flöte des Liedes „froet iuch“ wird in unregelmäßigen Abständen von einem irrwitzig klingenden, tonlos-hellen Pfiff unterbrochen. Der instrumentale Tanz „schirazula“ (um 1300), ein Evergreen der Mittelalter- und Folkmusikanten, wird filigran und raffiniert dargeboten. Ein ewiges Schwingen und Treiben, mit jeder Wendung neue Kreise aufnehmend und wieder abwerfend. Dann ein zitternd wildes Vorbeischwirren von Albrecht Marschalls „uf esten“ in einer reichlichen Minute.

Die Platte schließt mit einer traurigen Erzählung über Liebesfreud und Lebensleid. Maria von Oettingen träumt Verlorenem hinterher und begegnet schließlich unvermutet dem verschollenen Gemahl Werner von Homberg.

Christoff el Konsort: Minnesang – Schweizer Liebeslieder aus dem Mittelalter Zytglogge Verlag, Oberhofen 2010 www.zytglogge.ch

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