© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

So werden Deutsche diskriminiert
Reportage: In Berliner Problembezirken sind die Einheimischen längst zur Minderheit geworden
Ronald Gläser / Hinrich Rohbohm

Wenn sie kommen, verstecken wir uns“, sagt Sabrina. Das zwölf Jahre alte Mädchen ist mit seinen Freundinnen in den Gropius-Passagen von Berlin-Neukölln unterwegs, „Klamotten gucken“. Haß auf Deutsche? Da müssen die drei Mädchen nicht lange überlegen. Sie nicken. „Den gibt es hier“, bestätigen sie. Neukölln ist der Berliner Problembezirk. Der Migrantenanteil liegt hier in einigen Gegenden offiziellen Angaben zufolge zwischen 40 und 45 Prozent. In ihrer Klasse sind von dreißig Schülern gerade einmal fünf Deutsche, erzählt Sabrina. Der Rest ist muslimischer Herkunft, zumeist Türken und Araber. „In den Pausen wollen die uns immer verkloppen“, verrät Sabrinas Freundin. Deswegen laufen die Mädchen weg. Deswegen verstecken sie sich. Weil sie Deutsche sind. In ihrer Schule eine Minderheit. Sie werden bedroht, bespuckt und manchmal auch geschlagen.

In Neukölln ist die Polizei machtlos

Sabrina hat Angst. Aber sie zeigt sie nicht. Sie hat gelernt, damit zu leben. Haß auf Deutsche, das ist für sie längst Schulalltag geworden. Sie erlebt Lehrer, die nicht eingreifen, weil sie selbst Angst haben. „Zumeist bleibt es bei Drohungen“, schildert ihre zweite, ein Jahr ältere Freundin. „Die wollen sich vor ihrer Gruppe aufspielen.“

Nico und Denny kennen das. „Wenn Türken und Araber allein unterwegs sind, ist alles in Ordnung, aber in der Clique werden sie aggressiv“, meint Nico. Bei ihm blieb es nicht bei Drohungen. Er zieht seinen Pullover hoch, zeigt zum Beweis seinen nackten Bauch, über den sich zwei rote Schrammen ziehen, die längere etwa zehn Zentimeter lang. „Das haben sie mir letzte Woche verpaßt.“ Türken oder Araber, so genau weiß er es nicht. „Sie versuchen dich zunächst zu provozieren“, erklärt der 15jährige. Ein Blick genüge schon, um Streit anzufangen. Es war genau an dieser Stelle geschehen. Hier, an der Gropius-Passage. „Einer von denen hatte ein Butterfly-Messer. Im Vorbeigehen hat er mir das quer über den Bauch gezogen“, erzählt Nico. Einfach so. Einmal habe ein Araber mit einer Schreckschußwaffe auf ihn geschossen. Die Sache sei glimpflich ausgegangen. „Nur meine schwarze Hose war danach weiß“, erinnert er sich.

Auf die Frage, ob die Jungs die Körperverletzungen der Polizei gemeldet haben, müssen sie lachen. „Die Polizei? Die macht da doch eh nichts“, meint Nico. Nein, da könne man gar nichts machen. „Abschieben. Alle abschieben“, meint Denny. Die Jungs verfolgen das politische Tagesgeschehen nicht. Aber Sarrazin kennt hier jeder. „Der Mann hat hundert Prozent recht“, sagt Denny. Zu ihrer Verteidigung führen sie inzwischen Waffen mit sich. Totschläger, Schlagringe, Butterfly-Messer. „Aber meistens versuchen wir wegzulaufen“, sagt Nico.

Aber es geht nicht nur gegen Deutsche. Auch Dennys Freund Silvio (16), ein gebürtiger Italiener, wurde von Türken und Arabern angegriffen. „Sie sind zwar deutschenfeindlich, aber oft schlagen sie auch einfach nur aus Spaß zu“, erklärt Silvio.

Türkisch-arabische Jugendliche streifen durch die Passage. Einer hat ein Butterfly-Messer in der Hand, das er ungeniert und trotz präsenter Polizei und Sicherheitsdienst lässig und kurzzeitig offen sichtbar in seiner Hand hin und her schwingt. Szenen, die längst nicht nur in Neukölln zu beobachten sind.

Nicht viel anders sieht es im Wedding aus, dem anderen Berliner Problembezirk. Der Anteil der Ausländer beträgt dort gefühlte 50 Prozent. Präzise Zahlen liegen nur für den Großbezirk Mitte vor, der einen Migrantenanteil von 38 Prozent aufweist. Soviel ist klar: Im Wedding ist er wesentlich höher, der Stadtteil hat den höchsten Ausländeranteil in der deutschen Hauptstadt.

Auf der Spurensuche nach Deutschenfeindlichkeit im Wedding: Nicht jeder ist froh darauf angesprochen zu werden. Das Thema ist nach wie vor tabu. Ein älterer Herr rät: „Gehen Sie mal in die Buttmannstraße.“ „Wieso, kriegen Deutsche dort Ärger?“ „Nein, da gibt es keine Deutschen mehr.“

Im Wedding werden Schüler  angegriffen und beleidigt

Eine oberflächliche Inaugenscheinnahme der Klingelschilder zeigt, daß das so nicht stimmt. Der Migrantenanteil ist hoch, aber noch weit davon entfernt, einhundert Prozent zu betragen. Trotzdem ist tagsüber kein Deutscher anzutreffen, der etwas sagen kann. Dafür schiebt eine Frau in einer Burka einen Kinderwagen in die Al-Umma-Gemeinde, eine typische Hinterhofmoschee.

Die Polizei ist in diesem Viertel schon mehrfach angegriffen worden – wie auch im Kreuzberger „Wrangelkiez“. Die Zugewanderten prägen hier das Straßenbild und drücken den Einheimischen ihre kulturellen Werte auf. Deutsche Frauen und auch auch angepaßte Migrantinnen werden schief angesehen, manchmal auch angepöbelt, wenn sie ohne Kopftuch unterwegs sind.

Weiter geht es durch den Wedding.Junge Leute haben weniger Hemmungen zu reden. In der S-Bahn sitzt Jessica. Sie plaudert mit ihrer Mutter über ein paar Ausländer, die sie dumm angeglotzt haben. „Hast du auch schon mal Übergriffe erlebt, bei denen es gezielt gegen Deutsche ging?“ Wie aus der Pistole geschossen antwortet sie: „Ja, natürlich. Viele Male. Vor allem abends, wenn wir weggehen. Ich war auch oft Zeuge von Angriffen auf Deutsche.“

Jessica wohnt in Wittenau, einer etwas besseren Gegend. Aber wenn sie abends am Alexanderplatz mit ihren Freundinnen feiern geht, dann hört sie oft Beschimpfungen wie „deutsche Schlampe“. „In meiner Disko können sie da jede fragen, die werden Ihnen alle das gleiche erzählen“, berichtet sie. Fotografieren lassen möchte sie sich unter gar keinen Umständen. Lieber keinen Ärger riskieren.

Zwei Jungen erzählen die brutale Wahrheit

Und weiter geht es durch den Problembezirk: In der Stettiner Straße sprechen Karsten und Dominic (beide 18) offen über den brutalen Alltag an Weddinger Schulen. An der Ernst-Reuter-Schule hat Karsten immer wieder auf dem Schulhof Sätze gehört wie: „Ihr seid Scheißdeutsche“ oder: „Macht, daß ihr wegkommt aus dem Wedding.“ Manchmal sind es nicht nur Worte. Karsten berichtet auch über Gewalt gegen deutsche Schüler: „Ich habe gesehen, wie Schulkameraden verkloppt worden sind.“

Wenn die Schule aus ist, dann hört der Ärger nicht auf. Karstens Freund Dominic hat immer wieder Szenen erlebt, in denen er angepöbelt oder bedroht wurde: „Was glotzt du so?“, „Ich stech’ dich ab“, „Wenn du nicht aufpaßt, dann kriegst du auf die Fresse“. Untereinander reden seine türkischen oder arabischen Mitschüler nicht in diesem Ton miteinander. Beide Jungs haben die Schule inzwischen abgeschlossen. Sie haben mehrmals die Schulen wechseln müssen. Karsten war in seiner Klasse der einzige Deutsche. „Man muß sich den Verhältnissen anpassen“, sagt sein Freund Dominic. Was er damit meint? „Na, sich durchsetzen, wenn es darauf ankommt.“

 Wenige Meter entfernt schiebt Jenny mit zwei Freundinnen ihren kleinen Bruder Leon durch die Bellermannstraße. Auch das Mädchen mit den rotgefärbten Haaren hat auf dem Pausenhof ihrer nahegelegenen Schule oft Diskriminierung erleben müssen. „Wir wurden als deutsche Schlampen beschimpft oder als deutsche Kartoffeln.“ Normalität in Schulklassen, in denen die Deutschen eine kleine Minderheit sind. „Ein Junge und ich – wir sind zusammen die einzigen Deutschen in meiner Klasse“, berichtet Jenny. Alltag als Angehöriger einer Minderheit.

Fotos: Deutsche in der Minderheit: Ohne Kopftuch werden Berlinerinnen in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil oft verspottet oder beschimpft, Jenny mit Bruder Leon: Als „deutsche Kartoffel“ beschimpft, Dominic und Karsten: „Macht, daß ihr wegkommt!“

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