© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Brüsseler Angriff auf den Vatikan
EU: Steuerliche Erleichterungen für den Heiligen Stuhl in Italien sollen dem Europarecht widersprechen / Schwerwiegende Konsequenzen möglich
Paola Bernardi

Als man bei der Konzipierung der EU-Verfassung auf den Bezug auf die christlichen Wurzeln verzichtete, ahnten die meisten Europa-Skeptiker, daß dies erst der Anfang einer Entchristlichung des alten Kontinents ist. Der jüngste Blitz aus Brüssel ging direkt über den Vatikan nieder. Dieses Mal geht es um eine Steuerfrage, die den wirtschaftlichen Interessen des Heiligen Stuhls erheblich schaden könnte, wenn die EU-Kommission die Oberhand gewinnen würde. Linke und antiklerikale Kreise hatten vor fünf Jahren das Feuer eröffnet. Es geht dabei um angebliche Steuerprivilegien und unerlaubte Staatshilfen zum Vorteil des Kirchenstaates. Diese würden den Wettbewerbsgesetzen widersprechen, so der zuständige EU-Kommissar Joaquín Almunia.

Während die bis 2009 amtierende holländische EU-Kommissarin Neelie Kroes von der rechtsliberalen Volkspartei (VVD) in dieser Angelegenheit nicht aktiv wurde, sieht sich der Vatikan jetzt durch den spanischen Sozialisten in die Pflicht genommen. Der Vorwurf aus Brüssel lautet: Der Vatikan müsse für einige seiner Immobilien keine Steuern zahlen. Italien würden dadurch zwei Milliarden Euro entgehen. Dies diskriminiere aber andere Immobilienbesitzer. Die EU-Kommission startete daher eine Untersuchung gegen Rom wegen unerlaubter Staatshilfen zum Vorteil des Heiligen Stuhles. Die Steuerprivilegien hätten einen „diskriminierenden Charakter“. Es geht um angeblich 100.000 Immobilien, die die katholische Kirche in Italien besitzt. Sie sind unter einer früheren Regierung Silvio Berlusconis 2005 von der Immobiliensteuer ICI befreit worden. Ein Jahr später hatte die Linksregierung unter Romano Prodi ein weiteres Gesetz verabschiedet, wonach nur jene Kirchenimmobilien nicht besteuert werden sollen, die keinen Umsatz erwirtschaften. Über den vatikanischen Grund- und Immobilienbesitz haben sich schon immer die Gemüter entzündet. So wurde immer wieder behauptet, der Vatikan besitze insgesamt 50 Millionen Quadratmeter Grundbesitz in Rom sowie weitere 460.000 Hektar im übrigen Italien.

In der Altstadt Roms habe sich der Vatikan sogar an „destruktiven Restaurierungen“ beteiligt, durch die historische Palazzi ausgehöhlt und in Büro- und Luxuswohnhäuser verwandelt wurden. Diese teilweise ungesetzlichen Umbauten würden entweder spekulativ weiterverkauft oder zu erhöhten Preisen vermietet, so lauten die immer wiederholten Vorwürfe gegen den Vatikan. Er, so zu Dementis und Klarstellungen gezwungen, muß erklären, daß er keine „Immobiliengroßmacht“ sei.

Der Großteil des vatikanischen Immobilienbesitzes konzentriert sich auf Italien und speziell auf Rom. Laut den Lateranverträgen von 1929 zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien verfügte der Vatikan seinerzeit über 107,80 Morgen Land innerhalb der Vatikanstadt, 136 Morgen Land in Castel Gandolfo und 180 Morgen Gebäude- und Grundstücksflächen innerhalb von Rom.

Seit den achtziger Jahren wurde aber der Immobilienbesitz in Italien vom Vatikan in stärkerem Maße abgestoßen, einmal wegen der immer wieder auftretenden Angriffe, die in Rom gegen den kirchlichen Besitz geführt werden, aber auch aufgrund der nicht sehr hohen Rendite. Der kirchliche Besitz in Rom untersteht zwar dem Heiligen Stuhl, der Großteil jedoch gehört Ordensgemeinschaften, Klöstern, Schwesternkongregationen und Pfarrgemeinden.

Gerade von den von kirchlichen Orden verwalteten Hotels, Geschäften mit religiösen Souvenirs, Pfarreikinos und katholischen Privatschulen würde die Immobiliensteuer ICI nicht gezahlt, obwohl die katholische Kirche mit ihnen lukrative Geschäfte mache, so die Unterstellung. Dem italienischen Staat würden somit zwei Milliarden Euro entgehen, behauptet Brüssel.

Linke und Antiklerikale haben das Feuer eröffnet

Auch ins Fadenkreuz der Ermittlungen sind die Wohltätigkeits- und Fürsorgeorganisationen geraten, die nur 50 Prozent der Gesellschaftssteuer IRES zahlen müßten. Davon jedoch würden auch im Gesundheits- und Schulwesen aktive Kirchenorganisationen profitieren, die angeblich hohe Gewinne schreiben würden. Die kirchlichen Institutionen hätten somit gegenüber anderen Wettbewerbern einen Riesenvorteil, behaupten die Brüsseler Kritiker. Die vatikankritischen Parteien, die diese Verfahren in Gang gesetzt haben, behaupten außerdem, daß dadurch das Prinzip des Laizismus des italienischen Staates verletzt bzw. nicht beachtet würde.

Das Verfahren der EU-Kommission hat im Vatikan große Sorge ausgelöst. Viele Immobilien – katholische Schulen, Krankenhäuser, Pilgerhotels und Pfarreien – dienen Bildung, Kultur und Wohltätigkeit. Es sei daher nur richtig, daß sie steuerlich entlastet würden, verlautet aus dem Vatikan. Sollte Brüssel gegen Italien entscheiden, so müßten die Luxemburger Europarichter innerhalb der nächsten 18 Monate eine Entscheidung fällen. Es könnte Italien also blühen, daß das Land nicht nur zu einer Geldstrafe verurteilt würde, sondern es müßte auch die Konzessionen und Privilegien für die katholische Kirche streichen, und die Kirche müßte noch dazu eventuell die entgangenen Steuern nachzahlen.

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