© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Angst vor der iranischen Landnahme
Rivalität zwischen Sunniten und Schiiten: Die Konflike der ungleichen Brüder nehmen zu / Steigendes Selbstbewußtsein der Schiiten
Bodo Bost

Richtig zu Hause“ fühlte sich  Irans Präsident Ahmadi-Nedschad bei seinem Aufenthalt im Libanon. Geblendet vom „Heldenempfang“, den ihm Zehntausende Anhänger der schiitischen Hisbollah in den Vorstädten Beiruts und in der Grenzregion zu Israel bereiteten, übersah er den Unmut der Bevölkerung in den sunnitisch geprägten Landesteilen. Dort hieß man den mächtigen Mann Irans, der die pro-iranische Hisbollah-Miliz seit Jahren finanziell und mit Waffen unterstützt, nicht willkommen. Unverhohlen werfen sie ihm vor, mit Hilfe seiner Hisbollah- „Handlanger“ einen iranisch-schiitischen Stützpunkt am Mittelmeer errichten zu wollen. Die Angst vor dem „schiitischen Halbmond“ (Libanon, Irak, Iran und Bahrain), der die sunnitischen Staaaten umschließt, ist virulent.

Machterweiterung per Internet und Fernsehen

Der sunnitisch-schiitische Gegensatz im Libanon steht einmal mehr Spitz auf Knopf. Doch nicht nur in der ehemaligen „Schweiz des Orients“ wachsen die Spannungen. Unruhen in Bahrain und der blutige Aufstand der schiitischen Huthisten im Jemen bilden nur die Spitze des Eisbergs konfessioneller Gewalt. Dahinter verbirgt sich ein latenter Machtkampf zwischen Iran und Saudi- Arabien um die islamische Führungsrolle im Nahen Osten.

Der Islam kennt zwei große Glaubensrichtungen, die Sunniten, die etwa 80 Prozent der Muslime stellen, und die Schiiten, die etwa 15 Prozent der heute etwa 1,4 Milliarden Muslime ausmachen. In den letzten Jahrzehnten wächst der Anteil der Schiiten infolge eines größeren Kinderreichtums und politischer Weichenstellungen rasant. Vor allem mit der Islamischen Revolution im Iran 1979 und dem Anspruch Ayatollah Khomeinis, die gesamte islamische Welt zu führen, haben die Schiiten innerhalb des Islams wieder die Initiative übernommen. Vor allem dank Internet, Fernsehen (Al-Alam, Al-Manar) und digitalen Islamforen, die vorwiegend in den Golfstaaten angesiedelt sind, übernehmen schiitische Prediger oft die Meinungsführerschaft. Mit Hilfe von „Missionaren“ unternimmt der Iran zudem Versuche, seine Glaubensrichtung in Marokko und in Ägypten, wo es fast keine Schiiten gibt, zu verbreiten. Dies hat 2009 zum Abbruch der diplomatischen Beziehungen zwischen Marokko und Teheran geführt.

Der gemeinsame Kampf gegen Israel hat jahrzehntelang die Divergenzen zwischen Schiiten und Sunniten (legitime Nachfolge des Propheten Mohammed, Doktrin und Deutungshoheit) in die zweite Reihe gedrängt. Jetzt hat die atomare Aufrüstung Irans und der „Kampf gegen den Terror“ im Irak und Afghanistan die uralten schiitisch-sunnitischen Gegensätze neu entflammen lassen.

Die US-geführte Invasion des Irak hat dazu geführt, daß die Schiiten, die im Irak die stärkste Bevölkerungsgruppe sind, zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Irak, der mit Kerbela und Nadschaf die beiden heiligen Städte der Schiiten beherbergt, einen Machtzuwachs erzielten, der das Gleichgewicht der gesamten Region bedroht. Viele Analysten halten einen schiitisch dominierten Irak, es wäre der erste arabisch-schiitische Staat, für möglich.

Der Machtzuwachs der Schiiten im Irak fiel zeitlich zusammen mit einer Stärkung der schiitischen Hisbollah im Libanon durch den Julikrieg 2006, in dem Syrien unter dem Alewiten Baschar al-Assad (Alewiten sind eine islamische Sekte, die den Schiiten nahesteht) ins schiitisch-iranische Lager abdriftete.

Angestachelt durch die schiitischen Erfolge im Irak und Libanon haben auch die Schiiten im Jemen Auftrieb bekommen und in den letzten Jahren im Norden des Landes, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen, einen Aufstand begonnen. Die sogenannten Huthisten liefern sich seit 2004, unterstützt wiederum durch den Iran, heftige Kämpfe mit den jemenitischen Sicherheitskräften, denen Saudi-Arabien zur Seite steht. Dabei wurden inzwischen mehrere tausend Menschen getötet.

Auch in Bahrain, dem einzigen mehrheitlich schiitischen arabischen Staat neben dem Irak, eskaliert der Konflikt zwischen dem sunnitischen Königshaus und schiitischen Gruppen. Bereits Wochen vor den Parlamentswahlen am 23. Oktober in dem Inselstaat am Persischen Golf berichten Menschenrechtsaktivisten von zunehmender Diskriminierung und Gewalt. Bei Unruhen im August wurden mehrere hundert Aktivisten schiitischer Parteien verhaftet. Jetzt wird gegen 23, denen die Gründung einer terroristischen Vereinigung zum Sturz der sunnitisch geprägten Regierung vorgeworfen wird, der Prozeß eröffnet.

In Bahrain regiert seit Ende des 18. Jahrhunderts eine sunnitische Herrscherfamilie. Die Bevölkerungsmehrheit in dem Golfstaat stellen jedoch die Schiiten. Obwohl es im Parlament schiitische Parteien gibt, die die Politik Ahmadi-Nedschads kritisieren, befürchtet die sunnitische Herrschaftsschicht den wachsenden Einfluß des Iran. Doch verbergen sich hinter den Konflikten nicht allein religiöse, sondern vielfach ökonomische Unterschiede.

 40 Tote bei einem Anschlag auf schiitische Prozession

Im Gegensatz zu Bahrain mit seiner Einwohnerzahl von etwas über einer Million kommt dem außerhalb des schiitischen Halbmondes liegenden Pakistan eine besondere Rolle zu. Mit seinen fast 40 bis 60 Millionen Schiiten (20 Prozent der Bevölkerung) ist das sunnitisch geprägte Land der zweitgrößte schiitische Staat der Erde. Konflikte bleiben nicht aus. Der Selbstmordanschlag auf eine schiitische Prozession in Karatschi Ende 2009, bei dem über 40 Menschen getötet wurden, ist nur ein Beispiel.

Bereits im Jahr 1988 unternahmen Schiiten im Norden Pakistans, in einem Gebiet, das im 16. Jahrhundert von schiitischen Predigern aus dem Iran missioniert worden war, den Versuch, ihren eigenen (Karakorum)-Staat zu gründen. Den Aufstand hatte die pakistanische Regierung damals jedoch mit Hilfe der sunnitischen Söldner von Osama bin Laden niederschlagen lassen, die in der Provinzhauptstadt Gilgit unter den Schiiten ein Massaker anrichteten. Aus dieser Zeit stammen die guten Kontakte des Al-Qaida Führers zum pakistanischen Geheimdienst. Jahre später versuchten dann die mit Bin Laden verbündeten sunnitischen Taliban in Afghanistan (1994–2001) die schiitische Minderheit der Hazara regelrecht auszurotten. Bekannt wurde das Massaker von Mazar-i-Sharif von 1997, als die Taliban um die zweitausend zivile Angehörige der Hazara-Minderheit umbrachten.

Die Hazara, die etwa fünfzehn Prozent der afghanischen Bevölkerung bilden, gelten heute als Verbündete der nato-geführten Isaf Truppe in Afghanistan. 2003 halfen Schiiten in Pakistan den USA, den Chefplaner der Attentate des 11. September, Chalid Scheich Mohammed, in Rawalpindi zu verhaften. Parallel dazu sind schiitische Kommandos in Pakistan seit Jahren auf der Suche nach Bin Laden und seinem Stellvertreter Aiman al-Zawahiri. Dies nicht weil sie den westlichen Kampf gegen den Terror unterstützen, sondern um die schiitischen Opfer von Gilgit zu rächen.

Die schiitische Solidarität geht allerdings nicht so weit, daß auch der Iran den Kampf seiner pakistanischen und afghanischen Glaubensbrüder gegen al-Qaida unterstützen würde. Denn der Iran hat letztendlich kein Interesse daran, durch eine Mithilfe bei der Verhaftung der al-Qaida- und Taliban-Spitze die Konflikte am Hindukusch frühzeitig zu entschärfen und so die Rolle des Krisengewinners zu verlieren.

Foto: Die Hisbollah bejubelt Präsident Ahmadi-Nedschad (Bint Jbeil, Südlibanon): Schiitisch-iranische Siegesposen stoßen auf sunnitischen Unmut

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