© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Gruß aus Tokio
Mixi statt Facebook
Kazue Nakamura

Ob in der U-Bahn oder den Vorortzügen – nur selten sieht man jemanden Zeitung lesen. Dafür wird stur auf die kunterbunten Klapptelefone und Minicomputer gestarrt und oft wild darauf herumgetippt. Dank moderner IT-Infrastruktur ist der Netzzugang kein Problem. Dennoch behauptet eine aktuelle Studie des britischen Marktforschungsunternehmens TNS: Japaner haben die wenigsten Online-Freunde. Die im Internet aktiven Einwohner von Malaysia sollen hingegen 233 haben, Brasilianer 231, Polen 201, Österreicher 119 und Deutsche immerhin 75. Aber warum liegen die Japaner mit 29 Internet-Bekanntschaften noch unter dem Wert von Tansania mit 37? Im Gegensatz zu den einstigen Kolonien Malaysia, Singapur und Hongkong sind die meisten Internetnutzer in Japan nicht bei den US-Anbietern Facebook, Myspace oder Twitter angemeldet, sondern bei dem nur in Japanisch verfügbaren sozialen Netzwerk Mixi. Kenji Kasahara, der 1997 als 21jähriger mit der Internetstellenbörse Find-Job.net angefangen hatte, gründete das Unternehmen im Jahr 2000.

„Ein Drittel der japanischen Internet-Gemeinde ist bei Kasaharas Unternehmen Mixi“

Vier Jahre später ging Mixi.jp landesweit an den Start. Damals bastelten Mark Zuckerberg und seine Harvard-Kommilitonen noch an ihrem Studenten-Facebook. 2005 hatte Mixi.jp bereits zwei Millionen angemeldete Nutzer. 2008 zählte Kasahara bereits zu den 40 reichsten Japanern – laut dem US-Magazin Forbes mit einem Vermögen von umgerechnet 740 Millionen Dollar. Vergangenen Monat knackte Mixi die 33-Millionen-Marke – damit ist ein Drittel der japanischen Internet-Gemeinde bei Kasaharas Unternehmen. Und der Trend dürfte anhalten, da auch Schulkinder mit ihren Mitschülern und Freunden auf Mixi kommunizieren, sie brauchen kein Facebook. Die meisten Facebook-Nutzer in Japan sind Ausländer und Japaner, die eine Zeitlang im Ausland verbracht haben, oder die ihre Fremdsprachen-Kenntnisse verbessern möchten. Meist sind sie auch zugleich bei Mixi aktiv. Dort gibt es daher eine spezielle Facebook-Community, um andere Mixi-Nutzer bei Facebook kennenzulernen und dort dann vor allem Englisch zu üben. Ob das die Briten bei ihrer Studie (www.discoverdigitallife.com) berücksichtigt haben? Zudem dürfte es für sie auch schwierig gewesen sein, sich bei Mixi anzumelden – dafür braucht man eine „Einladung“ von einem Mixi-Mitglied und eine japanische Mobilfunknummer.

Kazue Nakamura ist Ökonomin und arbeitet als Übersetzerin in Tokio.

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