© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Ein Familienerbstück hinter Glas
CDU: Ein Vortrag in Berlin zeigt, daß der Konservatismus für die Union mittlerweile kaum mehr als ein Ausstellungsstück ist
Marcus Schmidt

Besonders wertvolle und empfindliche Familienerbstücke werden nur zu besonderen Anlässen hervorgeholt und in einem kleinen Kreis zur Schau gestellt. Danach verschwinden sie bis zum nächsten Festtag wieder an einem sicheren Ort. So verhält es sich mittlerweile auch mit der vielbeschworenen konservativen Wurzel der Union, die zwar an Festtagen feierlich beschworen wird, von der im politischen Alltag aber nur selten etwas zu spüren ist.

Diesen Eindruck konnte in der vergangenen Woche gewinnen, wer in die bayerische Landesvertretung in Berlin gekommen war, um auf Einladung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung die Zukunftschancen des Konservatismus auszuloten.

Die baden-württembergische Kultusministerin Marion Schick (CDU) hielt über lange Strecken einen erbaulichen Vortrag, der dem deutlich bajuwarisch-süddeutsch eingefärbten Berliner Publikum ein Idealbild des politischen Konservatismus im 21. Jahrhundert zeichnete, und versuchte die Frage nach dem Wesen dieser Denkrichtung zu ergründen.

Dabei hatte der Nachmittag mit einer Enttäuschung begonnen. Eigentlich sollte der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus eine Grundsatzrede halten, die angesichts der Debatte über den Konservatismus in der CDU von vielen politischen Beobachtern in Berlin mit einer gewissen Spannung erwartet worden war, gilt Mappus doch vielen als der kommende Mann des konservativen Flügels der Union. Doch der Ministerpräsident hat derzeit andere Sorgen, und so hinderten ihn die Schlichtungsgespräche für das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 an der Reise nach Berlin. Doch Schick versicherte, daß sie in „enger Absprache“ mit Mappus spreche, und so konnten die Zuhörer gewiß sein, daß die Ministerin vieles sagte, was eigentlich ihr Chef vortragen wollte. 

Schick gab natürlich, wie sollte es in der bayerischen Landesvertretung auch anders sein, den Ausspruch Franz Josef Strauß’ zum besten, nach dem „konservativ ist, an der Spitze des Fortschritts zu stehen“. Ansonsten beschrieb sie ausgehend von einem, auf ein Zitat Konrad Adenauers („Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt es nicht“) gestützte, skeptische Menschenbild den Konservatismus als Sehnsucht nach Verbindlichkeit und die Absage an die Utopien. Die Ideologien versprächen die Erlösung durch den „großen Wurf“,  doch wer etwas verändern wolle, habe die Beweislast, sagte Schick. Konservative Politik bedeute, von der Realität ausgehend in die Zukunft zu wirken. Deutlich kritisierte Schick das Gerede von der „Gesellschaft“ und plädierte unter anderem für die Begriffe Volk, Staat und Nation, um den notwendigen Zusammenhalt des Gemeinwesens zu garantieren,

Am Ende der Veranstaltung stand ein Zuhörer auf und äußerte die Hoffnung, CDU-Chefin Angela Merkel – die für denselben Abend noch in der Landesvertretung erwartet wurde – möge etwas von dem konservativen Geist empfangen, den der Vortrag hervorgezaubert habe. Die Antwort der Ministerin war wohl nicht nur für den Fragenden ernüchternd. Diesen Geist habe Merkel, so versicherte Schick, tief verinnerlicht.

Wie hatte Schick doch zu Beginn gesagt: Der Konservatismus sei für die CDU ein Schatz, der poliert und ausgestellt werde, manchmal hinter Glas. Und mit diesem Eindruck ging mancher dann auch nach Hause: Die CDU hatte an diesem Nachmittag ihren Konservatismus aus der Vitrine geholt, tüchtig poliert und dem staunenden, ja äußerst angetanen Publikum präsentiert – um das gute Stück wieder wegzuschließen. Denn für den politischen Alltag, so scheint man bei den Christdemokraten zu glauben, taugt der Schatz schon lange nicht mehr.

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