© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Verdeckte Zuwanderung
Demographie: Die Bedeutung des Familiennachzuges wird in der Einwanderungsdebatte immer noch unterschätzt
Sverre Schacht

Was wir nicht brauchen, sind Menschen, die in ihrer Person zwar wertvoll sind, die aber hier zu Problemen führen, weil sie die Sozialsysteme belasten und andere Lebens- und Kulturvorstellungen haben, die Integration also erschweren“, sagt Volker Bouffier (CDU). Der Hessische Ministerpräsident gilt als vergleichsweise konservativ. Er findet wie CSU-Chef Horst Seehofer zum Thema unerwünschte Einwanderung vermeintlich klare Worte. Doch ein wachsender Teil von Zuwanderung vollzieht sich längst versteckt, außerhalb der parteipolitisch hektisch ventilierten Ideen von Steuerung.

So wird der Familienzuzug erst seit 1998 statistisch erfaßt, obwohl er demographisch starke Auswirkungen hat. Gemeint ist nicht nur die Herausforderung der Integration der dritten und vierten Generation. Es sind nicht nur junge, hier geborene Zuwanderer, die bei Berlins Landes-Integrationsgesetz pikanterweise ausgespart blieben, obwohl sie keineswegs als automatisch integriert gelten können, die der Politik Kopfzerbrechen bereiten sollten. Versteckte Einwanderung über Familien- und Ehegattennachzug bildet ein weit größeres Einfallstor als die einst umkämpfte Asylregelung. Im Europavergleich leistet sich die deutsche Politik weiter wirklichkeitsfremde Regeln. So erklärt das Berliner Kammergericht keine Behörde für berechtigt, Scheinvaterschaften zu prüfen. Zuwanderer, die eine Vaterschaft nur formal anerkennen, um ihren Aufenthalt abzusichern, haben demnach keine rechtlichen Folgen zu fürchten.

Schon mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts unter Rot-Grün im Jahr 2000 legte sich die Politik Fesseln an: Einbürgerung bildet seither allzu oft nicht den Schlußakkord gelungener Integration, sondern einen wahllosen Auftakt. Während die ausländische Bevölkerung nur statistisch fast konstant bleibt (1995: 7.343.000, 2008:

7.186 .000), nimmt die Zahl der Bürger mit Migrationshintergrund und damit der Gestaltwandel zu. Aufenthaltsverfestigungen und das Grundgesetz mit dem darin enthaltenen Schutz von Ehe und Familie erschwerten bisher Zuzugsgrenzen. Die jetzige Debatte um die Einwanderung qualifizierter Fachkräfte (die nie kamen) und mehr Integration dank Bildung (die von den Adressaten abgelehnt wird) führen daher in die Irre.

Gesetzliche Neuregelung gescheitert

Der aktuelle Mikrozensus des Statistischen Bundesamts untermauert, daß im Gegenteil die Grenze der Integrationsfähigkeit gerade bei der Jugend längst überschritten ist: Wenn von rund 800.000 Zehnjährigen fast jeder dritte Ausländer ist oder einen Migrationshintergrund im engeren Sinne hat, kann die selbstverständliche Vermittlung deutscher Sprache und Kultur von Kindesbeinen an rein verhältnismäßig kaum gelingen. Zuwanderung löst demographische wie wirtschaftliche Probleme nicht: Die größte, die türkische Zuwanderergruppe, bezieht doppelt so viele Transferleistungen wie die Durchschnittsbevölkerung. Während der Familiennachzug von Aussiedlern – in der Regel bereits in zweiter Generation weit integriert – ausbleibt, nimmt er bei statistisch weniger integrationsbereiten Ethnien zu. „Familienzusammenführung“ wird generell heute von mehr Zuwanderern als Hauptmotiv genannt als Arbeit. Studium und Ausbildung rangieren zusammen deutlich dahinter. Afrikaner kommen gut doppelt so häufig wegen „Heirat“ als wegen „Arbeit“, während dies Verhältnis bei Zuwanderern aus EU-Staaten umgekehrt ist.

Die Neuregelung des Ehegattenzuzugs 2007 sollte auch hier steuernd eingreifen. Inzwischen liegen Daten vor, die das Gegenteil nahelegen. Eine Unterrichtung des Bundestags vom September im Zusammenhang mit dem Nachweis von Deutschkenntnissen weist darauf hin, daß die Zahl der Visa für den Ehegattennachzug deutlich gestiegen ist. Direkt nach der Neuregelung war die Zahl kurz gefallen. Auch die Einführung von Sprachtests 2005 brachte nur einen leichten Rückgang. 2008 bestanden diesen rund 60 Prozent, ein Jahr später schon 65. Das Berlin-Institut fand zudem heraus, daß 93 Prozent der hiesigen Türken oder Türkischstämmigen innerhalb der eigenen Ethnie heiraten. Gerade 32 Prozent der türkischen Migranten haben inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. So entsteht per Nachzug zwecks Heirat ständig eine neue erste Einwanderergeneration als ständige Herausforderung.

Foto: Die Hochzeit als Türöffner: Zahl der Visa deutlich gestiegen

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