© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Heikler Besuch beim Nachwuchs
Junge Union: Angela Merkel stößt beim Deutschlandtag nicht nur auf Zustimmung
Hinrich Rohbohm

Sie ist da“, verkündet Tagungspräsidentin Katherina Reiche. „Mutti“ betritt das Plenum der Metropolis-Halle im Filmpark Babelsberg, dem Ort des diesjährigen Deutschlandtages der Jungen Union (JU). Die Delegierten erheben sich und klatschen artig Beifall.

Die JU bereitet der Kanzlerin einen formell-höflichen Empfang. Auch wenn es bei manchem innerlich brodeln dürfte. Nicht jeder hat die Absage der CDU-Vorsitzenden im vorigen Jahr vergessen. „Für uns gehört es dazu, daß die Kanzlerin zur JU kommt“, stichelt Mißfelder denn auch vor Beginn des Deutschlandtages. „Ich gehe davon aus, daß sich so manch kritische Stimme zu Wort melden wird“, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Eine der kritischen Stimmen ist Sven Volmering. Als Merkel Geschlossenheit für einen erfolgreichen Wahlkampf im kommenden Jahr anmahnt, greift der Landesvorsitzende der JU Nordrhein-Westfalen die Kanzlerin direkt an. „Uns müssen Sie nicht erklären, wie Wahlkampf funktioniert“, schaltet der Nachwuchspolitiker auf Angriff. Vielmehr müsse hinterfragt werden, warum die CDU bei der letzten Bundestagswahl das zweitschlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hatte.

Schnell wird deutlich: Die Kanzlerin weiß, wie heikel ihr Besuch bei der JU diesmal ist. Zuviel Unmut hatte ihr Fernbleiben im vorigen Jahr ausgelöst. Ihre Rede ist sorgfältig vorbereitet. „Das Adenauer-Haus hat keine Facebook-Seiten gesperrt“, versichert sie dem CDU-Nachwuchs gleich zu Beginn. Vor einem Jahr waren bei der JU Gerüchte in Umlauf geraten, nach denen die CDU-Bundesgeschäftsstelle Druck auf die Betreiber der Facebook-Gruppe „Aufstand gegen Mutti“ ausgeübt haben soll. Als sich schlagartig mehr als 600 Unterstützer in der Gruppe einfanden, war die Seite damals „wegen Wartungsarbeiten“ nicht erreichbar gewesen.

Sie kommt auf Stuttgart 21 zu sprechen, bezieht klare Position für das Projekt. Das kommt an. Vor allem bei der Baden-Württemberger JU, die begeistert Pro-Stuttgart-21-Plakate in die Höhe reckt. Die Begeisterung legt sich, als sie zur Islamdebatte Stellung bezieht und die Aussage von Bundespräsident Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, verteidigt. Ein Grummeln ergreift den Saal. Merkel merkt’s, steuert um. „Multikulti ist tot“, verkündet sie nun. Der Beifall kommt zurück.

„Demokratie-Tüv“ für Kindergärtner

 Bei der anschließenden Aussprache muß sich Merkel der Kritik von Sven Volmering stellen. Sie muß jetzt frei sprechen, verfängt sich in politischen Allgemeinaussagen. Die Bundestagswahl spart sie ebenso aus, wie das Wahldesaster bei der NRW-Wahl. Die Mienen im Plenum verfinstern sich, Unzufriedenheit macht sich breit. „Bla, bla, bla“, entfährt es einem genervten Delegierten.

Auf die mangelnde Präsenz des „C“ in der Partei angesprochen wird die Kanzlerin zynisch. „Die Christen müssen sich schon selbst einbringen. Wo sind sie denn, die Christen?“ fragt sie in die Runde. Als es immer stiller wird, ergreift Merkel nochmals das Mikrofon. „Jetzt klatscht doch mal, ihr aus Baden-Württemberg, ihr wollt doch im März eine Wahl gewinnen“, ruft sie süffisant lächelnd in den Saal. Die Stille bleibt.

Horst Seehofer kann die Jungunionisten ebenfalls nicht voll überzeugen. Dabei spricht der CSU-Chef den Delegierten inhaltlich zunächst aus der Seele. „Multikulti ist tot“, verkündet auch er. „Deutschland darf nicht zum Sozialamt für die ganze Welt werden“, legt er nach. „Was spricht dagegen, sein Vaterland zu lieben? Ich will, daß die JU in Sachen Patriotismus vorangeht“, löst er donnernden Applaus aus, der sich noch steigert, als er Karl-Theodor zu Guttenberg erwähnt. Seehofer stockt, weiß nicht recht, ob dieser Beifall für oder gegen ihn zu werten ist. „Immerhin habe ich den Karl-Theodor gefunden und geholt“, fügt der Ministerpräsident vorsichtshalber noch hinzu und weist darauf hin, daß er es war, der Guttenberg zum Generalsekretär gemacht hatte.

Als Seehofer die Einführung der Frauenquote in der CSU ankündigt, kippt die Stimmung schlagartig. Pfui-Rufe und Pfiffe ertönen. Seehofer lacht. „Seid nur schön ruhig, euch wird nichts weggenommen“, sagt er. Sparsame Blicke hingegen beim mit 77,4 Prozent wiedergewählten JU-Chef Mißfelder und seiner Stellvertreterin Dorothee Bär. Seehofer will beruhigen. Die Quote sei nur auf der Landesebene geplant. „Die Basis kann es so machen, wie es die JU will, aber im Landesvorstand machen wir es so, wie ich es will“, meint der Ministerpräsident.

Weniger Streit gab es um die Einführung eines „Demokratie-Tüvs“ für Kindergärtner. Nach dem Willen der JU sollen künftig alle Träger von Kindertagesstätten die Verfassungstreue ihrer Mitarbeiter schriftlich gegenüber der jeweiligen Genehmigungsbehörde erklären. Der JU-Landesverband Thüringen begründete seinen Antrag damit, daß extremistische Gruppierungen und Parteien immer wieder versuchten, auf die Erziehung von Kindern in Kindertagesstätten Einfluß zu nehmen: „Wie groß die Risiken einer Einflußnahme auf Kinder sind, haben wir Deutsche in der NS- sowie der SED-Diktatur erfahren können.“ Welche extremistischen Gruppen im einzelnen gemeint sind, ließ die JU offen.

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