© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  43/10 22. Oktober 2010

Gegenoffensive der Sarrazin-Kritiker
Integrationsdebatte: Eine SPD-Studie zu angeblicher „Islamfeindlichkeit“ liefert dem linken Lager Munition
Hans Christians

Die Debatte um mangelnde Integration von Zuwanderern und die Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft geht in die nächste Runde. Nachdem der CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer vor einer weiteren Einwanderung aus muslimischen Ländern gewarnt hatte, widersprach Bundespräsident Christian Wulff Anfang der Woche zum Auftakt seines Türkei-Besuches ausgerechnet in der türkischen Zeitung Hürriyet. „Ich wende mich gegen jedes Pauschalurteil“, sagte er.

„Keine Gruppe ist gegen Rechtsextremismus immun“

 Bereits in der vergangenen Woche hatte die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung islamkritische Diskussionsbeiträge mit der Studie „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ gekontert. Hierfür wurden im Frühjahr mehr als 2.400 Deutsche im Alter von 14 bis 90 Jahren befragt. Fast sechzig Prozent der Befragten gaben demnach an, für Muslime solle die Religionsausübung „erheblich erschwert“ werden. Knapp ein Viertel der Bevölkerung sei inzwischen fremdenfeindlich eingestellt, erläuterten die Verfasser der Studie, die Leipziger Wissenschaftler Elmar Brähler und Oliver Decker. 2008 sei es noch ein Fünftel der Bürger gewesen. Für die Vertreter aus dem linken und liberalen Lager und viele Medien war das eine Steilvorlage. „Deutschland rückt nach rechts“, titelte die Online-Ausgabe des Focus. 

Etwa 30 Prozent sehen die Bundesrepublik „durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Dabei stimmten in Mitteldeutschland 43 Prozent dieser Aussage zu, in Westdeutschland knapp 34 Prozent. Über 34 Prozent der Bevölkerung ist laut Studie der Meinung, daß Ausländer nur nach Deutschland kommen, „um unseren Sozialstaat auszunutzen.“ Ein ebenso großer Anteil fordere, bei knappen Arbeitsplätzen „sollte man die Ausländer wieder in ihre Heimat zurückschicken“. 

Wie schon bei ähnlichen Analysen in der Vergangenheit durfte auch diesmal die berühmt-berüchtigte Frage nach einem Hitler-Nachfolger nicht fehlen. Immerhin 13 Prozent der Befragten sollen erklärt haben, daß Deutschland wieder einen „Führer“ brauche, der „mit starker Hand“ regiere. Dabei glauben fast neun Prozent, daß eine Diktatur „unter bestimmten Umständen“ die „bessere Staatsform“ sei. 10,3 Prozent meinen, der Nationalsozialismus habe „auch seine guten Seiten“ gehabt.

Diese Aussagen sind natürlich Wasser auf die Mühlen all jener, denen die ganze Integrationsdebatte nicht paßt. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen,  Renate Künast, warnte am Wochenende davor, daß sich in der Bundesrepublik „so eine furchtbare rechtsradikale Partei“ etablieren könnte und verwies auf die Studie. Angesichts von Abstiegsängsten hätten rechtsextreme Einstellungen mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zugenommen, warnten denn auch Decker und Brähler. Es bestehe die Gefahr, daß Rechtspopulisten versuchten, aus der Situation „politisch Kapital zu schlagen“. Der Untersuchung zufolge ist keine gesellschaftliche Gruppe gegen rechtsextreme Einstellungen „immun“. Immerhin stellt das SPD-nahe Institut fest, daß diese Einstellungen kein alleiniges Merkmal der Unionsparteien seien.

Interessant ist die Studie aber vor allem deshalb, weil einige Fragestellungen höchst unpräzise waren. So wurde etwa gar nicht gefragt, ob die Religionsausübung für Muslime verboten werden solle. Die Aussage, der die Befragten zustimmen beziehungsweise die sie ablehnen konnten, lautete: „Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich eingeschränkt werden.“ Ebenso hieß es in der Befragung auch nicht – wie in der Zusammenfassung der Studie behauptet – „Araber sind mir unangenehm“, sondern „Ich kann es gut verstehen, daß manchen Leuten Araber unangenehm sind.“ Nachdem die JUNGE FREIHEIT auf diese Ungereimtheiten aufmerksam gemacht hatte, kündigte die Stiftung eine Überprüfung an. Einige Tage später wurden die entsprechenden Behauptungen tatsächlich modifiziert. Doch die ursprünglichen Aussagen der Studie waren da längst in der Welt.

 

Anwerbung von Fachkräften

Ungeachtet der Diskussion über das Scheitern der Integration von Einwanderern hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) angekündigt, Fachkräfte anzuwerben. Angesichts der Bevölkerungsentwicklung dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, daß Deutschland keine Zuwanderung mehr brauche, sagte sie den Tagesthemen.  Unterstützung erhielt Schavan von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP), der sich für eine „geordnete Zuwanderung“ qualifizierter Arbeitnehmer aussprach.

Zugleich legte Schavan am Montag einen Gesetzentwurf vor, der die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse erleichtern soll. Nach Schätzungen des Bildungsministeriums leben etwa 300.000 Ausländer in Deutschland, die ihre in der Heimat erworbenen Qualifikationen auf dem deutschen Arbeitsmarkt bislang nicht nutzen können.

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