© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

„Deutschenfeindlichkeit ist Rassismus“
Integration: Eher unfreiwillig hat die linke GEW eine Diskussion über den Haß jugendlicher Einwanderer auf Deutsche angestoßen
Lion Edler

Wenn Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) über Deutschenfeindlichkeit spricht, kann sie von eigenen Erfahrungen berichten. In E-Mails und Briefen sei sie wegen ihrer Äußerungen zum Thema Islamismus mehrmals als „deutsche Schlampe“ beschimpft worden, beklagte sich Schröder am Wochenende in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Vermutlich sind es diese Erfahrungen, die Schröder veranlaßt haben, mit mehreren Interviews in die seit der vergangenen Woche (JF 41/10) tobende Diskussion über Deutschenfeindlichkeit unter türkisch- und arabischstämmigen Schülern in Deutschland einzugreifen. „Es gibt keine Fremdenfeindlichkeit erster und zweiter Klasse“, sagte sie. Ebenso wie Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit müsse auch Deutschenfeindlichkeit mit aller Härte bekämpft werden. Denn auch diese sei „Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus“.

Dabei ließ die Ministerin Sympathien für eine Änderung der Rechtslage erkennen. „Recht prägt Bewußtsein“, sagte Schröder, darum solle man darüber diskutieren, wie man den „besonderen Unwertgehalt der Deutschenfeindlichkeit“ im Rechtssystem abbilden könne. „Zudem müssen wir diejenigen einbinden, die in der muslimischen Gemeinschaft Schlüsselpositionen einnehmen und Werte vermitteln: die Imame und Religionslehrer“, verdeutlichte sie.

Ähnlich hatte sich zuvor auch der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir geäußert: „Deutschenfeindlichkeit auf Schulhöfen ist genausowenig akzeptabel wie jede andere Form von Diskriminierung“, sagte Özdemir. Die Schulen müßten zur Lösung des Problems „in die Lage versetzt werden, wenn nötig auch gegen die Familie oder ein Milieu zu erziehen, wenn dort Einstellungen vermittelt werden, die mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sind.“

Die deutlichen Reaktionen überraschen um so mehr, als das Problem der Deutschenfeindlichkeit unter jugendlichen Einwanderern seit langem bekannt ist. Zahlreich sind die Berichte über deutsche Schüler, die als „Hunde“ und „Schweinefleischfresser“ beschimpft wurden. Bereits im November vergangenen Jahres hatten zwei Berliner Lehrer in der Mitgliedszeitschrift der linken Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) einen Artikel veröffentlicht, der sich mit dieser „zunehmenden Tendenz unter türkisch- und arabischstämmigen Jugendlichen“ beschäftigte.

Dieser Artikel war erst durch eine Tagung Anfang Oktober einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden. Allerdings hatte die Gewerkschaft bereits beim Titel der Veranstaltung peinlichst darauf geachtet, keinesfalls bei der eigenen Klientel unter Verdacht zu geraten: „Der Streit um die sogenannte Deutschenfeindlichkeit“. Schon der Begriff wurde denn auch von den meisten Teilnehmern der Versammlung verworfen. „Unglücklich über den Begriff Deutschenfeindlichkeit“ zeigte sich etwa eine Lehrerin aus Berlin-Neukölln. Es werde „alles gemobbt, das anders ist“, begründet sie ihre Auffassung.

In dem Artikel aus der GEW-Zeitschrift hatte sich das noch anders angehört. „Auffällig ist dabei ein oft problematisches Deutschenbild. Vielfach werden Deutsche verachtet und Deutschland nur als Beutegesellschaft betrachtet, eine Integration abgelehnt“, schreiben die beiden Lehrer Andrea Posor und Christian Meyer über die Einstellung türkischer und arabischer Jugendlicher an Berliner Schulen. Frustration und Perspektivlosigkeit würden diese durch Macho-Gehabe kompensieren.

 Viele deutsche Schüler empfänden sich dagegen als „abgelehnte, provozierte, diskriminierte Minderheit, meist auch ohne nichtdeutsche Freunde“, heißt es in dem Beitrag, der zu einigen Austrittserklärungen aus der GEW führte. Insbesondere der Aufenthalt auf dem Schulhof werde „zuweilen als ein Spießrutenlaufen mit diversen Beschimpfungen erlebt“. Ferner würden vielfach deutsche Schüler „auch provozierend gefragt, was sie ‘hier’ wollten, das sei doch nicht ihre Schule“. Sie hätten „zuweilen das Gefühl, daß sie aus der Schule gedrängt werden sollten“, schreiben die Pädagogen, die Mitglieder des „Ausschusses für multikulturelle Angelegenheiten“ der Gewerkschaft sind.

Starker Tobak für die Verhältnisse der Gewerkschaft, doch die Ursachenforschung erscheint um so verdruckster. Man stoße hier „auf ein ganzes Bündel möglicher Gründe“. Zum einen handele es sich hier jedoch „einfach um die Rückgabe erlebter Vorurteile und erlittener Diskriminierungen“. Ferner schienen die Konflikte „auch eine Art Machtspiel zu sein, bei dem die eigentlich privilegierte Gruppe diese Privilegien durch die Mehrheitsverhältnisse verloren hat“. Wichtig bleibe jedoch festzuhalten, „daß ‘Deutschenfeindlichkeit’ keine Wesenseigenheit von Muslimen, Türken oder Arabern ist“. Trotz der bedrückenden Erfahrungen schafft der Aufsatz denn letztlich auch noch die politisch korrekte Kurve: „Deutschenfeindlichkeit ist eine Folge sozialer Bedingungen; allen Versuchen einer Ethnisierung sozialer Erscheinungen sollte entgegengetreten werden.“  Gleichwohl müsse jeder Rassismus bekämpft werden. Dazu müsse man „den SchülerInnen auch juristisch den Tatbestand der Volksverhetzung verdeutlichen“. Die Autoren verweisen dabei auf Forderungen, deutschenfeindliche Parolen künftig als Volksverhetzung zu bestrafen. 

Die Gewerkschaft versucht indessen verzweifelt, die gerufenen Geister wieder einzufangen. Die GEW habe zwar den Begriff der Deutschenfeindlichkeit in die Welt gebracht, räumte Pressesprecher Peter Sinram ein, um dann geradezu beschwörend zu verkünden: „Aber wir müssen auch dafür sorgen, daß dieser Begriff wieder rauskommt.“

Foto: Schule in Berlin-Kreuzberg:  „Deutschland wird vielfach nur als Beutegesellschaft betrachtet, Integration abgelehnt“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen