© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Der Flaneur
Denglisch im Krankenhaus
Harald E. Zeplin

Gestern wollte ich meinen Nachbarn besuchen. Am Eingang fragte ich am „front desk“ des „service points“ nach, wo ich ihn finden könnte. Ich wurde an die „chest pain unit“ verwiesen. Dort war er nicht. Auch nicht in der „stroke unit“. Ich traf ihn auf dem Flur, putzmunter, er war auf dem Weg zum „aqua-cycling“, begleitet von seiner „Case-Managerin“. Nein, ich berichte nicht von meinem Florida-Urlaub, ich war in einem deutschen Krankenhaus. Ist Ihnen das auch schon so gegangen, daß sie in einem Krankenhaus waren und weder das Speziallatein der Ärzte noch die Hinweisschilder verstanden? Sie hatten Englisch in der Schule, aber diese Wörter haben Sie nicht gelernt. Wer gibt schon gern zu, daß er nicht weiß, was ein „service point“ oder ein „help desk“ ist? Alle anderen scheinen es doch zu wissen, sonst würden die Schilder ja nicht dort hängen.

Da war doch dieser Politiker, der immer von „cluster“ redete und nicht wußte, was das ist.

Verzweifeln Sie nicht: Der Fehler liegt nicht bei Ihnen. In jeder Sprache kann man alles beim Namen nennen. Immerhin hat die deutsche Sprache zirka 100.000 Worte, von denen wir allerdings nur etwa 10.000 wirklich nutzen. Im Englischen gibt es sogar 300.000 Worte, die Times kommt schon mit 10.000 Worten aus, die Sun braucht nur etwa 800 Worte, um den Leser zu „informieren“. Das Problem ist, daß man wissen muß, wovon man redet. Da war doch dieser Politiker, der immer von „cluster“ redete, bis ihn jemand fragte, was das bedeutet. Er wußte es nicht. Gerade in der Werbung, Technik, Computerbranche und zunehmend in der Medizin werden Worthülsen gebraucht, obwohl niemand ihren Inhalt kennt. Es muß nicht immer Englisch sein, auch Ausdrücke wie „Prozeßoptimierung, Evaluierung, Evidenzbasierung“, ja scheinbar deutsche Worte wie „Verschlankung, Negativwachstum, Mitarbeiterfreisetzung“ sind nichts als hohle Phrasen und rhetorische Nebelkerzen, mit denen Sie überrumpelt werden sollen. Bevor Sie merken, worum es geht, ist die „Talkshow“ beim nächsten Thema.

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