© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Hinter trutzigen Mauern
Ungebrochene Faszinationskraft: Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg beleuchtet den „Mythos Burg“
Sebastian Hennig

In den Burganlagen verbinden sich militärisch-praktische Absichten mit symbolischer Bedeutung. Man denke an das Castel del Monte des Stauferkaisers Friedrich II. in Apulien, das wie ein Kristall in der Landschaft steht. Diese Auffassung mündete in die raffinierte Befestigungskunst der Barockzeit. Sternförmigen Bastionen schrieb man besondere Abwehrkräfte zu. Doch jedes Schwert findet sein Schild. Die Fortifikationskunst und die Belagerungstechnik machten sich gegenseitig den Fortschritt streitig, bis schließlich der Maschinenkrieg aus der Luft den Stolz der Hochburgen demütigte. Wenn das Flugzeug mit dem Reichskanzler am Anfang von Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ über der Nürnberger Burg schwebt, wird die Reduzierung des ehrwürdigen Baus auf seinen Denkmalcharakter in einer immer dynamischer werdenden Zeit deutlich.

Viele bemerkenswerte Einzelstücke machen das Leben und Treiben in und um die Burgen in der Nürnberger Ausstellung anschaulich. Säulenbasis, Bodenfliesen, Gesimssteine und Ziegel vertreten die materielle Substanz des Lebensortes Burg. Möbel, Geschirr, Kinderspielzeug und Kleidung veranschaulichen die innere Ausstattung. Die Polsterhaube des Erzherzogs Sigmund von Tirol aus dem Jahr 1484, beim Turnier unter dem Helm zu tragen, ist ein seltenes Schaustück.

In der Abteilung der Kampfgeräte werden eigens die unritterlichen Waffen vorgeführt. So wurde die Armbrust durch das Zweite Laterankonzil 1139 verboten. Sechzig Jahre darauf fällt Richard Löwenherz einem Bolzen zum Opfer. Des Kreuzfahrers ritterlicher Werdegang wird ausgebreitet neben denen von Oswald von Wolkenstein, dem „letzten Ritter“ Maximilian I., Götz von Berlichingen und Margarete von Tirol. In der Regensburger Weltchronik des Jan Enikel läßt der Buchmaler den Turm zu Babylon mit der Bautechnik seines Zeitalters errichten. So entsteht ein gotischer Bergfried. Die Steinzange, die in der Abbildung zum Heben eines Werksteins verwendet wird befindet sich ebenfalls unter den Ausstellungsstücken.

Zu den im Geiste eines modernen Nationalgefühls erneuerten Burgen-Denkmälern gehören die böhmische Burg Karlstein, einst von Karl IV. zur Aufbewahrung der Reichsinsignien erbaut, und die thüringische Wartburg, deren romanische Bogenfenster lange zugemauert blieben. Andere Burgen dienten als Steinbrüche für die Scheunen und Wohnhäuser der umliegenden Siedlungen, bis schließlich eine romantische Weltsicht aus den manchmal nur kniehohen Mauerresten fantastische Ruinen zauberte. Die bewohnten Niederlassungen wurden später von einer wanderlustigen, bewegten Jugend als Herbergen erschlossen. Die Nürnberger Kaiserburg wurde im Vorfeld des Reichsparteitages 1934 von den durch das bayerische Königshaus veranlaßten Umbauten als den „Zeugen einer schwächlichen Zeit“ bereinigt. Noch die topographisch bestimmten Bauwerke auf den Deutsche-Mark-Scheinen, so die Eifel-Burg Eltz auf dem 500-Markschein, sind ein Überbleibsel des romantisch verklärten Nationalgefühls. Die Euro-Noten begnügen sich dagegen mit indifferenten Details von Fenstern und Brücken.

Im neunbändigen Werk „Die Ritterburgen und Bergschlösser Deutschlands“ (1810–1835) von Friedrich Gottschalck werden diese zum ersten Mal historisch betrachtet. Frontispiz ist der Giebichenstein zu Halle, dieser Projektionsort der romantischen Gefühle von Joseph von Eichendorff und Franz Kugler: „An der Saale hellem Strande stehen Burgen stolz und kühn; ihre Dächer sind gefallen, und der Wind streicht durch die Hallen...“ Gottschalck berichtet eingehend von der Zerstörung der Burgen. Wie die zeitgleich wirkenden Brüder Grimm sammelt auch er die verstreuten Altertümer einer endgültig hingehenden Ära. Nur kleine exklusive Zirkel der Adelsgesellschaft halten die Fahne des Rittertums hoch. Ein Gemälde zeigt die Zeremonie des Ritterschlages des altertümlich gerüsteten Grafen Boos zu Waldeck in der Innsbrucker Hofkirche unter den Deutschordensrittern 1911. Aber einige Jahre später trat der edle Herr mit Dispens wieder aus dem Orden, um seine Familie fortzupflanzen. In einem spätmittelalterlichen Reiterharnisch, die Rechte auf die unritterliche Armbrust gestützt, posiert 1864 Hans Freiherr von und zu Aufseß, der Gründer des Germanischen Nationalmuseums. Die Rüstung befindet sich noch heute in der Waffensammlung des Hauses.

Ein ganz frühes Stück Burgensymbolik ist der Tafelaufsatz der Nürnberger Patrizierfamilie Harsdörffer in Form eines Holzmodells einer Phantasieburg aus dem 16. Jahrhundert. Die heraldische Symbolkraft der Burgen und Türme spiegelt sich in diesem Nippes wider, ein Statussymbol, mit dem die Honoratioren ihren exklusiven Anspruch hervorkehren. Albrecht Dürers lebensgroße Porträts der Brüder Paumgartner in Ritterrüstung rehabilitieren die Sprößlinge einer bankrott gegangen Familie. Die heute in der Münchner Pinakothek befindlichen Bilder wurden schon 1613 dem bayerischen Herzog und Dürersammler Maximilian von Wittelsbach verkauft. In der Ausstellung hängen nun flüchtige Wiederholungen der sorgfältigen Kopien, welche damals die Originale ersetzen sollten.

In der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts trugen viele Stadtvillen im Sinne des englischen „My home is my castle“ eine burgenartige Außenansicht zur Schau. Einer Kredenz aus dieser Zeit im altdeutschen Stil hat der Kunsttischler einen Zinnenkranz und gotisches Maßwerk angefügt. In der Familie des Eigentümers des Möbels wird überliefert, daß aus seinem Haus vor Zeiten bei hohen Besuchen auf der Nürnberger Kaiserburg Ausstattungsstücke dorthin verliehen wurden. Um die Wandung eines Walzenkruges von Villeroy & Boch ziehen sich drei in Wald gebettete Ortschaften, auf dem Deckel gipfelt eine vollplastische Burganlage. Die vereinfachende Auffassung der aquarellierten Radierung „Landschaft mit Burgen“(1546) von Augustin Hirschvogel unterscheidet, einmal ungeachtet der künstlerischen Intensität, im Grunde genommen kaum etwas von den Bildgeschichten und Computerspielen der jüngsten Zeit. Bilderbogen, Kartenspiele, Spielzeugmodelle und Bastelbögen zeigen die ungebrochene Faszinationskraft des ritterlichen Lebens bis in die Gegenwart.

Die Ausstellung „Mythos Burg“ ist bis zum 7. November im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Kartäusergasse 1, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 21 Uhr, zu sehen. Der Katalog mit 456 Seiten kostet in der Ausstellung 25 Euro. Telefon: 09 11 / 13 31-0  www.gnm.de

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