© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  42/10 15. Oktober 2010

Big Business und Volkszorn vereint
USA: Bushs Wahlkampforganisator Karl Rove will Obamas Demokraten erneut eine Niederlage beibringen
Elliot Neaman

Dem Mooreschen Gesetz zufolge verdoppelt sich die Geschwindigkeit von Schaltkreisen alle 18 Monate, wodurch das digitale Zeitalter ständig hektischer und schnellebiger wird. Etwas ähnliches scheint in jüngster Zeit auch für die US-Politik zu gelten: Hier kommt es in ebenso regelmäßigen Abständen zu einem Rollentausch zwischen den beiden großen Parteien. Nachdem Wahlkampfguru Karl Rove George W. Bush 2004 zu einer zweiten Amtszeit verholfen hatte, hofften Konservative, auf Jahrzehnte hinaus die US-Politik dominieren zu können.

Vier Jahre später drehte sich mit Barack Obamas klarem Wahlsieg der Wind, und nun wähnten amerikanische Linksliberale die Republikanische Partei dauerhaft beschädigt: Nach dieser Niederlage 2008 sei ihr Wählerpotential auf eine kleine Minderheit weißer Unter- und Mittelschichtler in den Südstaaten geschrumpft. Nun dürfte bei den Kongreßwahlen zur „Halbzeit“ von Obamas Präsidentschaft im November ein erneuter Gezeitenwechsel bevorstehen: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Republikaner die Mehrheit im Kongreß zurückerobern können, und manche Prognosen sprechen ihnen sogar eine Chance auf eine Senatsmehrheit zu.

Tea-Party-Bewegung als Helfer der Republikaner

Schuld daran ist nach Meinung der meisten Kommentatoren die miserable Wirtschaftslage und die hohe Arbeitslosenquote von offiziell zehn Prozent. Im Aufstieg der sogenannten Tea-Party-Bewegung (JF 16/10) kommt der verbreitete Mißmut über die Ausgabenpolitik der Regierung und das Haushaltsdefizit zum Ausdruck: Den Rettungspaketen für krisengeschüttelte Banken schickte Obama ein 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturpaket sowie seine umstrittene staatliche Krankenversicherung hinterher, deren Kosten sich in zehn Jahren auf bis zu eine Billion Dollar belaufen könnten. Dabei vergessen die Protestler freilich, daß die Banken-Rettungspläne ursprünglich von der Bush-Regierung auf den Weg gebracht wurden und die Unterstützung vieler Republikaner genossen. Die Tea Party ist eher ein Teekessel, der vor allem für eins gut ist: Dampf abzulassen.

Daß die Republikaner wieder Morgenluft wittern dürfen, verdanken sie auch ihren schlauesten politischen Köpfen, denen es gelungen ist, eine beachtliche Werbe- und Spendenkampagne auf die Beine zu stellen, die dem Vorbild der demokratischen Mobilisierung gegen Bush folgt, insbesondere der 2005 gegründeten und von George Soros und anderen Milliardären finanzierten Democracy Alliance, die den Boden für den Sieg 2008 bereitete.

Zu den Wegbereitern des republikanischen Umsturzes zählt ein alter Bekannter: Karl Rove, der eine Koalition reicher Unternehmer geschmiedet hat, um die angebliche Wirtschaftsfeindlichkeit der Obama-Regierung zu bekämpfen. Zuvorderst sind hier zu nennen Harold C. Simmons, dessen Firma radioaktive Abfälle entsorgt, der Immobilien- und Versicherungsmagnat Carl H. Lindner, Robert B. Rowling, Besitzer einer Hotelkette, sowie die Brüder David und Charles Koch, die sich vor allem durch ihren jahrelangen Kampf gegen staatliche Umweltschutzmaßnahmen hervortun (JF 38/10).

Dank eines Urteils des Obersten Gerichtshofs vom Januar 2010 (Citizens United vs. The Federal Election Commission) können Großkonzerne stärker in den Wahlkampf eingreifen. Mit knapper 5:4-Mehrheit entschied der Supreme Court, daß das Gesetz, das neben Unternehmen auch gemeinnützigen Organisationen oder Gewerkschaften die Finanzierung von Parteiwerbung in den letzten dreißig Tagen vor einer Wahl verbot, gegen das im Ersten Zusatzartikel festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung verstoße. Die im Zuge der Reform des Wahlsystems eingeführte Sperrfrist sollte den Einfluß von Lobby- und anderen Interessengruppen in den entscheidenden letzten vier Wochen des Wahlkampfs reduzieren.

Nun haben zwar linksliberale Gruppen und Gewerkschaften dasselbe Recht, bis zum Wahltag die Werbetrommel zu rühren – in der Praxis aber begünstigt das Urteil vor allem Großunternehmen und andere wirtschaftsfreundliche Kräfte. Karl Roves eigene Organisation American Crossroads hat sich mit dem American Action Network, dem American Action Forum, Resurgent Republic und dem Republican State Leadership Committee zusammengetan. Sie stellen eine Art Schattenpartei neben dem offiziellen Republican National Committee dar. Mit vereinten Kräften wollen die fünf Organisationen zwischen 50 und 70 Millionen Dollar an Spendengeldern für die republikanische Kriegskasse zusammentragen, um dem Einfluß ihrer liberalen Gegenspieler entgegenzuwirken.

Viele Demokraten kämpfen auf verlorenem Posten

Die ersten Auswirkungen dieser massiven Finanzspritzen hat die Demokratische Partei bereits schmerzlich zu spüren bekommen. Eine vergleichsweise schwache Kandidatin wie Sharon Angle hätte sich in früheren Wahlkämpfen schwergetan, den Führer der Senatsmehrheit aus dem Sattel zu werfen. Doch dank der Unterstützung von Roves Wahlkampfmaschinerie liegt sie in Nevada laut Umfragen drei Prozentpunkte vor Harry Reid. Auch in weniger prominenten Fällen macht sich die Macht des Geldes bemerkbar. Dutzende kleinerer Wahlkampforganisationen haben sich Roves Taktik zu eigen gemacht und sammeln Spenden von Unterstützern, die zumeist anonym bleiben.

Manch ein demokratischer Kandidat sieht sich plötzlich vehementen Angriffen ausgesetzt, ohne zu wissen, wer dahintersteckt. Im Bundesstaat Iowa etwa ließ sich eine Gruppe namens American Future Fund einen einzigen Wahlkampf 800.000 Dollar kosten. Laut Berichten der Washington Post haben sich die Ausgaben für den laufenden Wahlkampf gegenüber 2006 von sechzehn auf achtzig Millionen Dollar verfünffacht.

Als die Tea Party sich 2009 in den Vorwahlprozeß einzumischen begann, zeigte sich Rove noch besorgt, daß die extremen politischen Positionen, die einige der von Sarah Palin handverlesenen Kandidaten vertraten, dem Image der Republikanischen Partei schaden könnten – er gründete American Crossroads, um das Heft in der Hand zu behalten. Inzwischen hat das republikanische Establishment längst begriffen, wie nützlich diese Aktivisten ihm sein können. Am 2. November wird sich zeigen, ob das strategische Bündnis zwischen „big business“ und Volkszorn Rove einen weiteren Triumph bescheren kann.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco. Karl Roves Wahlkampfplattform: www.americancrossroads.org

Foto: Karl Rove mit Bush: Erneut Wegbereiter des Umsturzes?

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